Teil 3: Berufspolitik

In der Zeit, als ich an der Krankenpflegeschule die Fachweiterbildung für Anästhesie aufgebaut habe, habe ich gemerkt, dass es nicht gut ist, allein zu arbeiten, sondern dass ich mich im Rahmen der Berufspolitik vernetzen muss. Ich bin dann in die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege eingetreten, um in den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen zu kommen. Im Bereich der Fachkrankenpflege habe ich viel kritisiert, was nicht gut lief und habe dem damaligen Vorsitzenden einen Brief darüber geschrieben. Der hat mich dann zur Brust genommen und gesagt: „vielen Dank für Ihre Zuschriften, aber man kann nicht nur meckern, sondern sollte auch mal Lösungen auf den Tisch legen.“ Er sagte, sie seien es leid, sich vorführen zu lassen. Gemeinsames Weiterentwickeln ja, aber Meckern allein reiche nicht.

So fand ich vor mehr als 30 Jahren meinen Einstieg in die Berufspolitik, denn der Satz hat mich an der Ehre gepackt. Ich wurde zur Mitglieder- und Vorstandsitzung nach Kiel eingeladen und am Ende des Tages war ich auf einmal Landesbeauftragter von NRW. Ich hatte zuerst noch Bauchschmerzen damit, aber ich war auch hier wieder in einem Team, das sich regelmäßig traf. Und dann wurde mir geraten, für den bundesweiten Vorstand zu kandidieren. Da war ich ungefähr dreißig und wurde im Vorstand mit tradierten Bildern, wie Berufspolitik zu laufen hatte, konfrontiert. Als ich noch draußen stand, hatte ich sehr viel Respekt vor diesen Gremien und dachte, mein Gott, was die da alles machen. Als ich dann selber ein Teil des Vorstandes war, habe ich gedacht: „Nein, so können wir das nicht machen.“

Parallel dazu wurde der Deutsche Pflegerat gerade neu gegründet und wir, die Gesellschaft für Fachkrankenpflege als Verband, bemühten uns um eine Mitgliedschaft. Der Deutsche Pflegerat war zunächst noch ein Verband mit losen Strukturen und losen Verabredungen und ich dachte, wenn wir das dauerhaft machen wollen, dann braucht man einen eingetragenen und gemeinnützigen Verein mit klaren Grundsätzen. Es mussten Organisationsstrukturen aufgebaut werden, um Pflegende damit wirkungsvoll zu vertreten. Und wie ich das so vorgeschlagen hatte, hatte ich auch schon wieder eine Aufgabe, nämlich eine solche Satzung vorzubereiten.

Auf der Gründungsveranstaltung vor mittlerweile zwanzig Jahren kam es dann zur Wahl des Vizepräsidenten des Deutschen Pflegerates und ich habe sehr lange mit mir gehadert, ob ich mir das Amt zutraue. Ich hatte sehr hohen Respekt vor dem Arbeitsaufwand und letztendlich stand man damit ja auch viel mehr im öffentlichen Fokus, aber man kann eben auch viel bewegen. Ich hab mir vierzehn Tage Bedenkzeit erbeten und hab mich mit Freunden zurückgezogen und mich beraten lassen und alle haben gesagt, „das machst du“.

Am Ende war ich sechs Jahre lang Vizepräsident des Deutschen Pflegerates und wurde dann gefragt, ob ich mich nicht als Präsidentschaftskandidat aufstellen lassen will. Ich hatte schon Zweifel, ob es richtig ist, wenn ich das mache. Aber irgendwie hatte ich dann auch so einen Ehrgeiz entwickelt, wenn ich schon mal angetreten bin und mich so in den Fokus gestellt habe, wollte ich es auch machen. Es hat ja dann auch geklappt, ich wurde Präsident des Deutschen Pflegerates über zwei Legislaturperioden. Es war eine große Herausforderung. Auch hier war es wieder wichtig, mit politischen Mitteln und nicht mit Brachialgewalt die eigenen Vorstellungen umzusetzen. Wichtige Veränderungen erzielt man nicht von heute auf morgen.

Ich habe daneben in einer großen Volkspartei im Kreisverband in Gütersloh ein Mandat angenommen, in dem ich zehn Jahre lang als Kommunalpolitiker gearbeitet habe. Ich habe da am Ende aber gemerkt, das bringt einen zwischen Baum und Borke: auf der einen Seite für eine große Partei zu arbeiten und dort auch Präsenz zu zeigen und Regionalpolitik zu machen und auf der anderen Seite mit dem Deutschen Pflegerat Gesundheitspolitik zu machen. Das war schon ein bisschen schwierig. Ja, und als die zweite Legislaturperiode als Pflegeratspräsident angebrochen war, wusste ich, es geht irgendwann auch zu Ende. Die Satzung sieht vor, dass ich nicht wiedergewählt werden würde und dann kam die Frage „wat machste danach?“

Ich habe allen gesagt, dass ich überhaupt kein Problem damit habe, loszulassen und dass ich nicht an dem Job klebe. Doch als der Tag dann kam, als ich mich verabschiedete, stellte sich schon die Frage: Kommt da noch was? Die Präsidentschaft war eine große Aufgabe mit einem öffentlichen Fokus. Ich war Gesprächspartner und konnte meine Ideen in Bereichen einbringen, die mir sonst verschlossen geblieben wären. Ich konnte Prozesse in Gang setzen. Das aufzugeben war nicht leicht. Aber ich hatte in meiner Heimatstadt ja auch noch eine Institution zu führen. Und meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren schon auch etwas irritiert, weil ich wieder öfter da war und weil ich – obwohl alles gut organisiert war – wieder steuernd eingegriffen habe.

Nach der Regierungszusammenstellung im Frühjahr 2018 kam dann der Bundesgesundheitsminister auf mich zu und fragte mich, ob ich mir eine neue Rolle vorstellen könnte. Und dann hab ich nicht lang gezögert und hab ja gesagt.

Jetzt muss ich die Brille wechseln von „wir – Pflege“ zu „wir – Bundesregierung“. Wenn ich jetzt von Wir rede, dann ist das ein neues Wir für mich. Das ist ein Switch, wobei ich nach wie vor aus der Pflege komme. Das lässt sich nicht wegbügeln und das will ich auch gar nicht. Eine gesicherte Gesundheitsversorgung geht nicht ohne die Pflege und da spielen mir meine pflegefachlichen Basics bis hin zu berufspolitischen Erfahrungen sehr in die Hände. Ich habe gelernt, wie man zu Kompromissen kommt – auch zwischen Regierung und Opposition. Wie wichtig das ist, andere mitzunehmen und ihnen wertschätzend zu begegnen.

Wenn vor wenigen Jahren noch jemand gesagt hätte, du wirst mal Staatssekretär der Bundesregierung, dann hätte ich gesagt, dass lass mal andere machen. Wenn man aber bereit ist, neue Herausforderungen anzunehmen, dann kann man mit seinen Aufgaben auch wachsen. Aber man braucht dafür auch immer Teams. Niemand ist ein Einzelkämpfer. Wenn man für Überzeugungen kämpfen will, dann braucht man viele Unterstützer, die bereit sind, gemeinsame Ideen zu tragen.

Früher war ich im Deutschen Pflegerat die Opposition. Da konnte ich alles fordern. Ich musste ja nicht dafür gerade stehen. Jetzt bin ich Mitglied der Bundesregierung und meine neue Aufgabe ist es, gemeinschaftlich Entscheidungen mitzutragen, manchmal auch in dem Bewusstsein, man würde das eine oder andere anders machen. Es braucht auch Geduld, die es gilt nach außen zu vermitteln. Gleichzeitig bin ich damit konfrontiert, dass Pflegende mir gegenüber Ungeduld äußern. So nach dem Motto: „Sie reden ja nur, wie alle anderen Politiker auch.“ Ich muss sie dann davon überzeugen, dass es uns um gute fachliche, inhaltliche Arbeit geht. Und dass die auch auf einem guten Weg ist. Es braucht eine andere Haltung dazu und ich glaube, man muss den Menschen eher erklären, wie Politik funktioniert und authentisch und ehrlich sein und nicht versuchen, etwas vorzumachen, was nicht einzuhalten ist.

Mein jetziges Wir muss die Politik sein. Das geht gar nicht anders. Ich muss das zu 100% leben, sonst gelingt das nicht. Mein Ziel ist, eine sichere Versorgungsstruktur für die Menschen und für die Zukunft aufzubauen. Auch mit neuen Strukturen und einer neuen Sichtweise darauf. Da spielen Pflegende neben den zu Pflegenden eine wichtige, aber nicht die einzige Rolle. Auch Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Ärztinnen und Ärzte und pflegende Angehörige sind einzubinden. Das ist eine komplexe Herausforderung und um dieses komplexe Zusammenspiel zu verstehen, muss ich aus meiner bisherigen Rolle – nämlich dem einen Bereich Pflege – heraustreten. Ich gehe jetzt auf die Seite der Gestaltung, in die Politik.

Ich bin jetzt mit Meinungen konfrontiert, bei denen ich manchmal denke, „ups, das ist nicht richtig“. Da muss man noch mal ein Stück zurückgehen und sich erstmal die Ablaufprozesse ansehen. Ich habe mich daran gewöhnt, dass nicht alles auf einen Schlag geht. An den Punkten, die ich anders sehe, werbe ich für Zwischenlösungen und Zwischenschritte. Mit Fachargumenten komme ich einfach weiter.

Ich bin sehr froh, dass ich ein eingearbeitetes Team mit unterschiedlichen Personen und Kompetenzen habe, das das schon viele Jahre lang macht. Der Neue war ich. Und das ist ja auch immer eine Herausforderung für so ein Team. Ich hab das Gefühl, dass das Ankommen hier nicht lang gedauert hat und ich fühlte mich schnell als Teil des Ganzen, so dass wir schnell in den Arbeitsrhythmus kommen konnten und gemeinsam die Schwerpunkte und Prioritäten festlegen konnten. Ich bin auch viel in den unterschiedlichen Bereichen unterwegs und bin der Seismograf, denn ich kann erfühlen, wie das wirkt, was wir hier in der Politik tun, so dass wir Ergänzungen und Änderungen vornehmen können. Der Arbeitsalltag als Pflegebevollmächtigter ist total aufregend, weil es immer wieder spannende Momente gibt und mir jeden Tag neue Menschen und neue Themen begegnen. Ganz sicher weiß ich nie, was heute Nachmittag um fünf sein wird.

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