Teil 3 – “Es ist alles gut gegangen” – Erfahrungen aus Bolivien

Ich fahre da natürlich nicht allein hin,

… sondern im Rahmen einer Organisation. Interplast ist eine Vereinigung von plastischen Chirurgen, die in den 1980ger Jahren von einem Dr. Lemperle gegründet worden ist. Es gibt ja Ärzte ohne Grenzen, die in Krisengebiete fahren. Und Dr. Lemperle wollte in Gebiete fahren, in denen die medizinische Versorgung schlecht ist und der ärmere Teil der Bevölkerung keine Chance hat, sich versorgen zu lassen.

Interplast ist international aktiv und innerhalb von Deutschland gibt es verschiedene Sektionen. Diese Sektionen haben sich auf unterschiedliche Fachbereiche und Orte spezialisiert. Die Sektion Bad Kreuznach war zuletzt in Bolivien, genauer in Riberalta in Bolivien. Das ist Amazonasrandgebiet. Dort ist die Schere zwischen arm und reich sehr groß und eine medizinische Versorgung kann sich nicht jeder leisten.

Unsere Leiterin Dr. Katharina Kamm hat dann ein Team zusammengestellt. Von uns ist noch ein Kinderchirurg mitgefahren und in der Sektion Bad Kreuznach ist auch die OP-Schwester Katharina Sojka dabei. Sie ist schon früher immer mitgefahren und hat das von Anfang an mitbetreut und aufgebaut.

Interplast stellt die Instrumente. Im ersten Jahr gab es ganz viele Infektionen, weil der Steri vor Ort nicht funktionierte. Und Katharina Sojka kümmerte sich darum, dass dort ein vernünftiger Steri hinkommt. Du arbeitest da unter, also so wie hier vor fünfzig Jahren mit alten OP-Tischen. Wir bringen sonst alles mit.

Strukturen vor Ort

Das Krankenhaus vor Ort ist nur in der Zeit, in der wir da sind, in Betrieb. Sonst steht das leer. Das ist eine Einrichtung von der Organisation prosalud, also eine Gesundheitsorganisation in Bolivien. Und die halten u.a. Krankenhäuser für solche Einsätze fit. Sie versorgen auch Leute, die nicht so gut verdienen. Interplast und prosalud kooperieren miteinander.

Prosalud unterstützt uns auch mit Übersetzern. Zwei von ihnen sind Gloria und Monika. Gloria hat nicht nur übersetzt, sondern uns wie eine Mutter versorgt. Sie ist Bolivianerin und hat viele Jahre in Deutschland gelebt, weil sie einen deutschen Mann hat. Monika hat viele Jahre in der Entwicklungshilfe gearbeitet.

Dann hatten wir noch zwei junge Gehörlosenlehrer. Die waren Anfang zwanzig, leider weiß ich nicht mehr, wie sie heißen. Ich habe es vergessen. Tut mir sehr leid. Sie haben auch gedolmetscht. Sie selbst waren Deutsche und ihr Vater war Spanier. Und da hab ich erst erfahren, dass die Gehörlosensprache nicht international ist. Sondern dass es sie genauso in deutsch, in spanisch und so gibt. Die waren allerdings nicht medizinisch ausgebildet. Das war für die beiden natürlich auch noch mal schwer. Also zu den Patienten zu sagen, dass wir sie nicht operieren können.

Prosalud macht schon eine Vorauswahl. Dabei geht es danach, welche Ärzte, also welche Fachrichtungen von uns abgedeckt werden und was operiert werden kann. Die Patienten brauchen dann auch Angehörige, die sie versorgen. Die Pflege passiert über die Angehörigen, nicht über das Pflegepersonal. Du hast da eine Schwester, die teilt aber nur die Medikamente aus, wenn überhaupt welche da sind. Alles andere machen die Angehörigen.

Unsere Arbeit ist unentgeltlich und wir machen das in unserem Urlaub. Interplast übernimmt Flug- und Unterbringungskosten. Das Essen vor Ort muss ich mir selbst kaufen. Das ist aber nicht schlimm und kostet auch nicht viel.

Die Materialien haben wir auf unsere Koffer verteilt, denn wir durften pro Person nur 23 Kilo mitnehmen. Logistisch war das eine Herausforderung. Der wichtigste Koffer ist gar nicht erst in Madrid losgeflogen. Acht Koffer sind erst am nächsten Tag angekommen. Unsere Sachen hatten wir im Handgepäck. In der ersten Woche fehlte uns also der Koffer mit einem wichtigen Gerät. Daher konnten wir da nicht ganz so viel operieren.

Am zweiten Tag sind wir in den OP und haben alles ausgepackt und eingerichtet. In der Zeit haben die Ärzte die Akquise gemacht. Am Anfang standen da über 200 Leute. Das war so, das das von der Polizei begleitet wurde, weil wir ja auch viele wieder wegschicken mussten.

Fotos waren unser OP-Plan

Innerhalb dieser Akquise wurde ein Foto gemacht. Hinten auf das Foto wurden der Name, das Alter und das Gewicht geschrieben und das, was gemacht werden sollte. Und dann bekamen alle noch ein Bändchen mit dem Namen. Wir wussen ja nicht, wer wer war und wir konnten sie auch nicht immer so einfach ansprechen. Die Sprache war eine große Barriere. Unser OP-Plan waren dann die Fotos an der Wand und nach den anfänglichen Schwierigkeiten haben wir dann an drei Tischen parallel gearbeitet. In den zwei Wochen haben wir hundertzwanzig Patienten operiert. Da waren natürlich auch kleine Eingriffe mit dabei, die dann nicht so lange gedauert haben.

Wir hatten einen freien Tag, das war der Sonntag zwischen den zwei Wochen. Klar war ich abends fertig, aber trotzdem war es ein anderer Stress, als so auf Arbeit. Allein die Dankbarkeit war eine andere. Wir haben morgens halb acht angefangen und abends um zehn war Schluss. Wir sind von den Leuten vor Ort mit Essen versorgt worden, das glaubst du nicht. So viel hätten wir gar nicht essen können.

Das Team war sehr in Ordnung

…. wir haben uns gut verstanden und gut zusammengearbeitet. Das war so wirklich back to the roots. Wir halfen uns alle gegenseitig. Da konnte keiner sagen „nee das mache ich nicht.“ Im Haus vor Ort hatten wir eine OP-Schwester. Sie hieß auch Gloria. Und Naomi hat immer sauber gemacht.

Der ärztliche Direktor in Riberalta, Huascar Suarez machte mit unseren Ärzten zusammen die Voruntersuchungen, stand mit am OP-Tisch und übernahm auch die Nachsorge. In der Zeit, in der wir noch da waren, machten wir das zusammen, danach er.

Ich wusste nicht, was auf mich zukommt

Als ich angefragt wurde, hab ich gesagt, dass ich das erst mit meiner Familie besprechen möchte. Ich wollte nicht sofort ja sagen. Meine Familie hat dann gesagt „klar, mach das“. Danach hab ich mit meiner Arbeitsstelle die Details geklärt.

Ich wusste auch nicht, was auf mich zukommen wird. So sehr war ich ja nun auch noch nicht in der Welt unterwegs gewesen. Dann musst du ja auch die ganzen Impfungen haben. Da wurde mir schon ganz anders. Als ich die Gelbfieberimpfung bekam, ging es mir gar nicht gut. Da hab ich auch gedacht, „ui, was tust du dir hier eigentlich an?“ Und fliegen ist auch nicht meins. Aber gut.

Eine andere Ärztin fährt immer nach Madagaskar, aber das wäre mir zu hart. Da hast du noch nicht mal Wasser. Das ist nicht so meins. Ich wurde da schon früher mal angefragt für Madagaskar, aber da war bei mir in der Familie viel los, so dass ich gesagt habe, dass ich jetzt unmöglich wegfahren kann. Im Kopf die Situation von zu Hause und dann so eine Extremsituation dort vor Ort, das bring ich nicht. Das merkt man ja schon so im Alltag. Wenn es eine belastende Situation im Privaten gibt, ist man auf der Arbeit unkonzentriert. Das wäre damals nicht gegangen.

Am ersten Abend waren wir sehr spät da. Wir waren ja sechsundreißig Stunden unterwegs. Da haben wir dann auch gesagt, „heute nichts mehr“. Als ich aus dem Flugzeug ausgetiegen bin, war es sehr heiß und uff, schwer zu ertragen. Ich wusste nicht, ob ich das durchhalte. Man kennt das ja nicht. Ich brauchte drei Tage, bis ich ankam. Die Station war für mich gewöhnungsbedürftig. Von den Wänden blätterte schon die Farbe ab. Die Betten waren aber sauber und es waren überhaupt Betten da. Da kenne ich Erzählungen von anderen Einsatzorten, wo es nicht ausreichend Betten gibt.

Begegnungen

Da war zum Beispiel Carlos. Der hatte eine riesige Struma und wir haben ihn fünf Stunden lang operiert, weil wir nicht richtig herankamen. Es ist so, die Patienten schlafen, also wir haben keine Narkosegeräte. Sie atmen alle selbst und erhalten das Narkosemittel nur über die Vene. Das Arbeiten ist dann wie auf einem Schiff. Es war eng, schlecht einsehbar und dann hat es auf einmal knack gemacht und unser Arzt hat gedacht, er hätte den Kehlkopf zertrümmert. Ihm ging es überhaupt nicht gut. Ich hab ihm das angesehen. Der war total durchgeschwitzt. Ich hab gesagt „Komm, mach einen Cut. Geh dich umziehen, das wird hier alles unsteril. Trink noch was. Dann machen wir weiter.“ Das haben wir dann auch so gemacht. Sonst würde er eine OP nicht unterbrechen. Aber es war ein Punkt, wo es so nicht ging. Wir haben alle eine kurze Pause gemacht und was getrunken. Am Ende war alles gut. Am nächsten Tag hat er mit Carlos gesprochen und der hat sich gefreut, wie ein König, dass er seine Struma los war.

Die haben da Riesenstrumen, aber nicht aus Iodmangel, sondern weil sie dieses Maniok teilweise roh essen. Zum Teil weil sie einfach zu arm sind und keine Kochstelle haben. Gekocht wäre es kein Thema, aber roh entzieht es dem Körper Iod. Solche Strumen siehst du hier nicht mehr. Wirklich wie so ein Schwimmring. Von solchen großen Strumen haben wir neun operiert. Das finde ich schon echt viel.

Wir hatten auch einen achtundsechszigjährigen Mann mit einer kindlichen Hernie. Wenn der als Kind operiert worden wär, wärs kein Thema gewesen. Er hatte eine Technik, wie er sich diese Hernie hochgebunden hat. Mit Gummischläuchen und was weiß ich. Das kann man sich nicht vorstellen. Aber er konnte sich immer reponieren und das war das Gute, denn dadurch konnten wir ihn operieren. Das war trotzdem nicht leicht. Aber da ist auch alles gut gegangen. Zum Glück.

Dann gab es da noch das Kind Suzanna. Suzanna hatte eine Missbildung. Bei ihr waren die Hände zusammengewachsen. Und auch die Füße. Insgesamt war sie sehr entstellt, aber ganz lieb. Sie hat sich mit einer unser Ärztinnen, die auch Spanisch sprach, viel unterhalten. Und Suzanna hat sich nach all unseren Namen erkundigt. Interplast ist alle zwei Jahre dort. Beim letzten Besuch vor zwei Jahren wurde ihr schon die rechte Hand plastisch so moduliert, dass sie einen Stift halten konnte. Sie hat also eine kleine Greiffunktion erhalten, so dass sie in die Schule gehen konnte. Und sie war die beste Schülerin da. Das haben uns ihre Eltern erzählt. Dieses Jahr haben sie dann die andere Hand gemacht und auch bei ihr ist alles gut gegangen.

Ich hab mir vorher ein paar Sätze Spanisch antrainiert, damit ich mich vorstellen und nach dem Wohlbefinden der Patienten erkundigen konnte. Einmal hab ich eine recht junge Frau geholt, mich vorgestellt und sie nach vorn gebracht. Sie hatte eine Hernie und sie wollte kein Netz haben. So viel hab ich verstanden. Unser Arzt wollte ihr gern ein Netz einbauen. Sie wollte aber keines, weil sie hätte davon gehört und wollte das nicht. Unser Arzt hat ihr dann mehrmals versichert, dass er das nicht macht. Er hat dann alles genäht.

Hinterher sind wir zusammen zur Visite zu dieser Frau gegangen. In der Visite fragte sie mich denn noch mal, ob hier und zeigte dabei auf ihren Bauch. Ich sagte nur „no no no“. Dann hat sie mich gedrückt.

Das Kind Lauren hatte Kontrakturen an der Hand. Da haben die Ärzte alles geöffnet. Das war Wahnsinn denen dabei zuzusehen, wie sie operiert haben. Den Plastikern brauchtest du nur immer alles hinzustellen, dann haben sie sich versorgt. Ich hab immer noch mal gefragt, ob sie noch etwas brauchen, aber unsere Ärztin hat dann gesagt, „verwöhn die nicht so“. Das war toll. Das waren Künstler.

Unsere Plastiker hatten viele Kontrakturen zu versorgen, die aufgrund von Verbrennungen entstanden. Da passiert ja viel am offenen Feuer.

Abends sind wir immer essen gegangen und einmal war da eine Bedienung, die auch Kontrakturen und Narben hatte. Da haben wir mit einem unserer Plastikern gescherzt „na, du machst wohl schon einen Plan, wie du das operierst? Sollen wir sie ansprechen? Ob sie das überhaupt will?“ Aber das haben wir natürlich nicht gemacht. Wir hatten ja auch einen engen OP-Plan.

Da gab es auch die kleine Carmen, die auch so eine verwachsene Hand hatte. Ich weiß nicht, wie viele Kuscheltiere sie abgegriffen hat. Sie hatte starke Wundheilungsstörungen als wir da waren und wir mussten sehr oft den Verband wechseln. Huascar informierte uns noch nach unserem Aufenthalt in Bolivien über unsere Patienten. Auch von Carmen. Die haben den Verbandswechsel immer in Narkose gemacht. Aber auch bei ihr war dann alles gut. Sie war so unser Problemkindchen.

Wir htten auch schwierige Situationen, zum Beispiel wenn Patienten abgelehnt werden müssen. Da war mal eine ältere Frau mit einer großen Struma. Bei ihr hatte unser Arzt im Gespräch das Gefühl, dass sie sich eigentlich gar nicht operieren lassen will. Sie hatte nur ihre fünfjährige Enkelin dabei. Die Kleine hätte die Pflege nach der OP gar nicht übernehmen können. Da haben wir dann gesagt, dass sie nicht operiert werden kann. Auch ein Mann mit einem fortgeschrittenen Zungenbodenkarzinom musste abgelehnt werden. Das war schlimm.

Aber als wir losgefahren sind, konnten wir schon sagen, dass wir mit gutem Gewissen fahren können, obwohl es am Anfang so schwierig wirkte und weil wir ja wussten, dass es beim letzten Mal so viele Infektionen gab. Aber wir hatten diesmal sehr viel Antibiotika mit. Da die Menschen vor Ort Antibiotika nicht gewöhnt waren, hat es super gewirkt. Muss man so sagen. Hier schlägt es ja oft nicht an, weil wir von klein auf damit vollgestopft werden.

Dass das alles so gut gelaufen ist, das hat mich sehr erleichtert. Und wir hatten in den vierzehn Tagen keine Infektionen. Überhaupt ist alles gut gegangen.

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