Witten-Herdecke kannte ich vorher nicht und ich hab erst im Laufe der Zeit gemerkt, dass es eine sehr spezielle Universität war. Wenn ich mich irgendwo vorstellte und sagte, ich studiere in Witten-Herdecke, dann waren immer gleich alle begeistert. Wir haben bei den Großen der Pflegewissenschaft gelernt und als Christel Bienstein das erste Mal vor mir stand, war es um mich geschehen.
Sie ist eine bodenständige, coole Frau, die einfach jeden mitnehmen kann. Neben Christel Bienstein haben uns Wilfried Schnepp oder Angelika Zegelin unterrichtet, also alle, die man nur so aus Büchern kennt. Klar kannten wir die Bienstein-Skala und die anderen Namen und plötzlich stehen sie vor einem. Dass sie in der Pflege etwas verändern wollen und das Potential der Pflege kennen, das hat mich echt geprägt.
Mit Christel Bienstein gab es so viele tolle Situationen und wir haben sie alle so ein bisschen als die Mutti der Klasse wahrgenommen. Der Bachelorstudiengang war so ein bisschen ihr Projekt, weil sie die Entwicklung so vorangetrieben hatte. Als ersten Jahrgang hat sie uns gehegt und gepflegt, wie ihre Pflänzchen und hat sich um all unsere Sorgen gekümmert und hat sich viele Stunden lang unser Gejammer angehört, wenn wir aus der Theoriephase mit großen Visionen nach Hause gefahren sind und dann in der Praxis mit unseren Projekten auf Widerstand gestoßen sind. Wie es zu erwarten war. Sie hat sich unsere Sorgen immer angehört. Ihr Appell, dass Pflegende das Gesundheitssystem bis ins Detail verstehen müssen, um in der Politik mitreden zu können, ist bei mir hängengeblieben. Und auch, dass wir uns politisch organisieren müssen, damit wir überhaupt etwas verändern können. Das war das erste Mal, dass ich diese Appelle gehört habe und dass sie gefruchtet sind, weil sie das nicht mit einer belehrenden Art machte, sondern mit ihrer herrlichen Ruhrpottsprache.
Wir haben mit ihr auch Semesterausflüge gemacht, wie die Tour de Ruhr, für die wir einen alten Oldtimer-Bus gemietet haben und durch Orte im Ruhrgebiet gefahren sind, die man mal gesehen haben muss, wie den Zeche-Zoll-Verein.
Ich konnte bei der Bachelorabschlussfeier nicht dabei sein, weil ich arbeiten musste. Christel Bienstein hat mir einen Brief nach Hause geschrieben, in dem eine Packung Blumensamen war. Im Brief schrieb sie – ich kann es nicht mehr ganz genau sagen, aber sinngemäß stand da „Sie sind jetzt die Saat, die auf fruchtbaren Boden fallen muss und dafür sorgen muss, dass sich in der Pflege etwas verändert.“ Das war ein schöner Brief und die Samentüte steht heute auf meinem Schreibtisch, damit ich mich immer daran erinnere.
Neben Christel Bienstein waren alle Personen dort sehr interessant. Sie können sich alle an die Anfänge der Pflegewissenschaft erinnern und haben viel persönliches Engagement da hineingesteckt.
Angelika Zegelin hat den Masterstudiengang betreut. Wenn ich an sie denke, denke ich auch an Bettlägerigkeit. Ihr wichtigstes Thema war die Frage danach, was Bettlägerigkeit überhaupt ist. Dazu hat sie ja auch promoviert und sie hat uns dazu gebracht, dass wir in die Praxis gehen und immer fragen, wie es zu solchen Zuständen von Bettlägerigkeit kommt. Sie hat in den Übergaben nie verstanden, wenn jemand gesagt hat, „der ist bettlägrig“. Was soll das denn sein? Und dann hat sie begonnen, das zu hinterfragen und hat versucht, den Prozess von Bettlägerigwerden zu verstehen. Und inzwischen ist sie einen Schritt weiter und ist, ja Botschafterin möchte ich sagen, um Bettlägerigkeit zu verhindern. Entweder mit Wimmelbildern oder Bewegungsparkouren, damit die Menschen einen Sinn haben, sich zu bewegen. Sie bewegen sich, wenn sie ein Ziel haben und nicht, weil ich sage, du musst jeden Tag fünf Meter laufen. Aber wenn ich sage, geh mal dort hin, denn an dem Bild gibt es etwas Spannendes zu entdecken, dann bekommt die Tätigkeit des Bewegens wieder einen Sinn. Alles, was ich mit Angelika Zegelin verbinde, ist Bewegung. Dafür flammt auch ihr Herz und wenn sie Vorträge zu diesem Thema hält, dann hält es keinem mehr auf dem Stuhl.
Ihr zweites Thema war die Patientenedukation, da hab ich vor allem viel im Hinblick auf Beratung und Anleitung mitgenommen. Die Schulung von Patienten hab ich früher nie so als Pflegeauftrag wahrgenommen, obwohl es ja schon in unserer Ausbildungs- und Prüfungsverordnung drin stand. Aber in der Praxis habe ich es nie so in der Form erlebt. Sie hat hat mich erst dafür sensibilisiert, wie man anleiten und beraten kann und was es alles für Beratungssituationen gibt, die man schon längst durchführt, ohne zu wissen, dass man gerade berät.
Ihr waren auch immer schöne Broschüren wichtig. Wenn ich sehe, welche Informationen bei uns im Wartezimmer manchmal ausliegen, dann bekomm‘ ich das kalte Grauen. Das hab ich mir auch noch vorgenommen: eine schöne Broschüre für Angehörige auf der Intensivstation zu erstellen, vor allem für Kinder. Eine schöne Broschüre ist gut verständlich. Die Bilder sollten auch keine komischen Suggestionen darstellen. Ich denke da an eine bestimmte Broschüre zum Thema Sepsis, in der eine zerfließende Uhr darstellt ist. Manche Bilder sind auch einfach gruselig. Zwischen Aufklärung und Erklärung darüber, was auf einer Intensivstation alles passiert, muss ein Unterschied gemacht werden. Wenn ein Angehöriger während seiner Wartezeit sich schwarze Gliedmaßen von anderen Sepsispatienten ansieht, dann ist das sicherlich nicht hilfreich für die Verarbeitung. Da werden viele Aspekte noch miteinander vermischt. Häufig ist die Verständlichkeit ganz schlecht. Auch die Zielgruppe ist wichtig. Wer genau soll mit der Broschüre angesprochen werden? Man kann nicht alle Zielgruppen gleichzeitig bedienen. Das kann einem gar nicht gelingen. Das ist etwas, was ich von Angelika Zegelin mitgenommen hab. Und auch von ihr gab es ein schönes Abschiedsgeschenk. Eine pinkfarbene Kunstbegonie, die auch auf meinem Schreibtisch steht und da ist ein Appell vom ICN mit dran, darüber, was Pflege leisten kann und muss.
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