Im Juni 1985 hab ich die Ausbildung beendet und im Januar 86 ist mein erstes und 87 mein zweites Kind geboren. Ende der Achtziger Jahre mit nun zwei Kindern und einer Vollzeitarbeit im Schichtdienst hab ich angefangen, die fast neunzigjährige Oma meines Mannes zu pflegen. Da bin ich erst mit richtiger Pflege in Berührung gekommen. Ich hab abends mit der Familie zusammen Abendbrot gegessen, hab dann zwei Portionen abgefüllt und bin zur ihr gefahren und hab ihr das Essen gereicht. Und das war damals für mich völlig selbstverständlich, dass ich das mache. Das hätte natürlich auch mein Mann machen können. Aber er hat dann die Kinder ins Bett gebracht. War ja alles vorbereitet. Meistens hatten sie ja schon Schlafanzüge an, dann Abendessen, dann ins Bett. Ich bin auch so‘n Typ, ich muss das alles machen. Ich kann schlecht abgeben. Ich hätte damals auch schon sagen können: „Heute fahr ich, morgen fährst du.“ Hab ich nie gemacht. Da bin ich, wie soll ich das jetzt beschreiben, also für mich war das auch immer wichtig. Diese Hilfe zu leisten. Das war zwar sehr schwierig und belastend auch mit zwei kleinen Kindern und selbst voll berufstätig, aber irgendwie hab ich damals auch schon gespürt, wie dankbar sie war. Das war nur zwei Jahre aufrecht zu halten, dann ist sie ins Pflegeheim gegangen und wurde dort noch vier Jahre lang versorgt. Mit 95 Jahren ist sie verstorben.
Dann war lange Zeit mit direkter Pflege gar nichts. Das war erst wieder viel später durch die Erkrankung meiner eigenen Mutti. Aber da war ich nicht so sehr involviert, das lief hauptsächlich über meine Schwester, die im Nebenhaus meiner Eltern wohnte. Sie hat alles organisiert und war das Verbindsglied zwischen allen Institutionen. Sie hat alles geregelt und war immer vor Ort. Sie hat den Haushalt geführt und das Essen gekocht. Sie hat all die Tätigkeiten übernommen, mit denen auch mein Vati überfordert war. Sie hat die Rezepte abgeholt, eingelöst und hat die Medikamente gestellt. Und das alles ohne medizinische Vorkenntnisse. Manchmal waren das ja auch Generika. Das war für sie auch nicht immer leicht, ne? Ein Thema, da haben wir uns erst nicht rangetraut. Das war, als es meiner Mutti immer schlechter ging, das Sterben. Und das ist ja immer etwas, worüber man nicht sprechen möchte. Wenn es so weit ist, dann wird es schon irgendwie. Nee, wird es nicht. Man muss, wenn man merkt, das das kommt, darüber reden. Meine Mutti war bis zum Schluss vom Geist her fit und so haben wir uns alle, also meine Eltern, meine Schwester, meine zwei Brüder und ich uns zusammengesetzt. Da war ich treibende Kraft. Wir haben gemeinsam besprochen, wie es weitergehen soll. Die Klarheit war ein gutes Gefühl. Wir haben nie über ihren Kopf hinweg entschieden, sondern sie wusste immer, was kommt. Und ich bin heute stolz darauf, dass wir das als Familie geschafft haben, obwohl wir uns nicht immer grün sind. Und die Gespräche über den Tod gehören genauso dazu, wie alles andere. Es ist schwer, aber wenn man das erst mal anspricht, sind alle hinterher dankbar darüber. Das befreit auch.
Meine Mutti ist im Frühjahr 2016 verstorben und da waren mein Mann und ich bereits mit seinen Eltern beschäftigt, die ab 2015 auch immer mehr Hilfe brauchten. Es begann mit Unterstützung im Haushalt, dann mit den behördlichen Belangen und dann, das ging dann recht schnell, auch Unterstützung in der Körperpflege. Bedingt durch eine schwere Erkrankungen und Krankenhausaufenthalten. Da mussten wir uns dann auch zum ersten Mal mit dem Thema der Pflegebedürftigkeit auseinandersetzen. Damals waren das noch die Pflegestufen. Und obwohl ich seit über 25 Jahren Krankenschwester war, hatte ich keine Ahnung von dieser Einstufung und hab dann eine öffentliche Beratungsstelle in Anspruch genommen und hab mir dann auch ein Buch von der Verbraucherzentrale gekauft, damit wir uns auf den MDK vorbereiten können. Das Buch hat mir sehr gut geholfen. Also für uns war das nicht mehr machbar. Angefangen beim Einkauf, über Anziehen bis hin zu Begleitungen bei Arztbesuchen. Für uns war klar, sie braucht zusätzlich zu unserer Unterstützung noch Pflege. Wir waren dann arg erschrocken, dass die Einstufung nach unserem ersten Antrag 2016 nicht erfolgt ist. Wir sind dann in den Widerspruch gegangen.
Seit dem haben wir keine Ruhe mehr. Meiner Schwiegermutter ging es dann schlechter und nach einem zweiten Gutachten bekam sie eine Pflegestufe. Heute hat sie Pflegegrad 3, einen Pflegedienst, der sie morgens und abends versorgt und einen Tagespflegeplatz. Parallel dazu hat ihr Mann eine Eingruppierung bekommen, denn er ist fast blind und kann den Haushalt auch nicht mehr machen. Zu ihm kommt ein mal in der Woche eine Haushaltshilfe und eine Person, die mit ihm einkaufen geht. Bis zum heutigen Stand war das ein langer Weg für uns. In den letzten Jahren gab es viele Höhen und Tiefen. Sie sind auch noch in eine bessere und geräumigere Wohnung gezogen, den wir komplett organisiert und durchgeführt haben. Zu Beginn haben sie den Pflegedienst auch privat bezahlt, weil der erste Antrag ja abgelehnt wurde, aber sie ohne Hilfe nicht mehr auskamen. Da ist so viel organisatorisches Management erforderlich, was zwei alte Menschen oder einer allein niemals schaffen würden. Und da haben meine Schwiegereltern Glück, dass sie auf uns zurückgreifen können. Bei uns teilt sich das so auf, dass ich eher den medizinischen und pflegerischen Teil mache und mein Mann den behördlichen und organisatorischen Teil. Trotz der Unterstützung durch die Tagespflege und den Pflegedienst bin ich noch sehr involviert, weil ich den Anspruch habe, es ihnen so gut und so leicht wie möglich zu machen. Der Pflegedienst kann ihr die Haare nicht waschen, weil sie Angst vor der Dusche hat. Daher kann nur ich ihr die Haare waschen. Für mich heißt das dann wieder einen ganzen Nachmittag zu investieren. Ich bin dann immer erschöpft, wenn ich wieder losfahre. Es ist wirklich anstrengend und ich bin erschöpft. Ich kann mit meinem Mann drüber reden. Ja, wir reden nur noch darüber. Bei uns dreht sich das meiste nur noch um die Versorgung seiner Eltern. Das eigene, nee nicht das eigene, aber das gemeinsame Leben kommt zu kurz, weil wir uns da ziemlich stark reinhängen. Ich sehe es teilweise als Verpflichtung, als Notwendigkeit, als Zurückgeben, was wir bekommen haben. Obwohl es ja nicht meine eigenen Eltern sind. Aber sie war ja auch für uns da in gesunden Zeiten. Daher ist es nicht nur Pflicht, sondern ich mach‘ es einfach. Auch, wenn ich selbst an meine Grenzen komme.
Auch wenn es nicht immer nach viel Arbeit klingt, ist es trotzdem viel. Wir wohnen nur fünf Kilometer entfernt und sind auf Abruf immer da. Da lässt man dann das eigene hinten runter fallen.
Momentan teilt sich die Arbeit gut auf, weil wir mittlerweile zu dritt sind. Also mein Mann und ich und der Bruder meines Mannes. Der wohnt aber weiter weg und fährt eine Stunde mit dem Zug. Allerdings ist es nicht mit drei Stunden vor Ort sein getan, sondern das hängt ja auch nach. Immer das Gefühl, etwas vergessen zu haben. Nie abschalten können. Auch im Urlaub kann man nicht so recht abschalten. Wir sind zu zweit zusätzlich zum Pflegedienst mindestens zehn Stunden in der Woche noch damit beschäftigt. Und alle sechs Wochen fahre ich mit den beiden in die Stadt. Da setze ich sie ins Auto und wir fahren ins Einkaufszentrum, wo wir fast den ganzen Tag verbringen. Das mache ich an einem freien Tag, an dem ich mir nichts anderes vornehme. Da mache ich in Ruhe Frühstück für mich und dann fahr ich los. Es hat uns sehr gerührt, als unsere Kinder uns dafür gedankt haben, dass wir für ihre Großeltern da sind. Sie haben uns einen Tag Pause geschenkt. Das ist wieder ein Zeichen dafür, dass man Familie ist. Dass man nicht allein ist.
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