Teil 2: Pessimistische Aussichten

Nach der Ausbildung hab ich Politikwissenschaften und Geschichte studiert. Mein Examen an der Uni hab ich vierundneunzig gemacht und hab danach noch circa ein halbes Jahr in der Klinik gearbeitet, um Geld für eine Südamerikareise zu verdienen.

Später hab ich eine Weiterbildung zur Heimleiterin gemacht, weil als Politologin war es nicht so einfach eine Stelle zu finden. Es war schwieriger als ich es mir ausgemalt hatte. Über diese Weiterbildung bin ich zum Fachjournalismus gekommen. Mehr in der Altenhilfe als in der Krankenpflege und hab dann den Beruf der Pflege mehr aus der theoretischen Perspektive gesehen. Trotzdem war ich viel in der Praxis, um zum Beispiel Interviews zu führen. Ich war auch auf Kongressen mit der Pflege befasst, dann allerdings aus der Managementperspektive. Ich hab fast zwanzig Jahre als freie Journalistin gearbeitet.

Weil sich die Arbeitsbedingungen im Journalismus extrem verschlechtert haben, hab ich vor fünf Jahren angefangen, einen Nebenjob in der Pflege zu suchen. Ich hatte dann zwei Stellen in Betracht gezogen. Das eine war im ambulanten Pflegedienst, wo ich mich mit der Leiterin getroffen hatte. Sie war eine super sympathische Frau und strukturierte gerade ihre Einrichtung um und fragte mich, ob ich nicht lieber PDL, also Pflegedienstleitung werden wollen würde. Hätte ich auch fast gemacht, aber durch das frühe Aufhören nach dem Examen hatte ich nicht genügend Praxiserfahrungen, um die Voraussetzungen für die PDL-Stelle zu erfüllen.

Auf die zweite Stellenanzeige bin ich eher nebenbei gestoßen. Da wurde jemand für eine Eins-zu-Eins-Betreuung gesucht. Und ich dachte „ok, das hört sich recht entspannt an“. Ich hab da angerufen und es stellte sich dann als Zeitarbeit heraus. Ich dachte wieder, „ok, guck ich mir mal an“. Über Zeitarbeit hört man so manches, eher schlechtes. Ich wollte auch wissen, was sie mir zu bieten haben und aus Neugier also bin ich da hingefahren. Die haben mich dann mit einer Prinzessin aus dem Oman geködert. Sie war eine Patientin von dieser Zeitarbeitsfirma und suchte eine Privatpflegekraft. In Hannover gibt es das International Neuroscinence Institute, kurz INI, mit einem Klientel, das größtenteils aus dem arabischen Raum stammt. Diese Prinzessin kam also aus dem Oman und sie reiste mit Hofstaat an und brauchte eine eigene Pflegekraft. Und das war dann ich. Und ich achte „oah, spannend! Vielleicht können wir uns ja mal unterhalten über den Oman und so.“ Da war ich aber ganz schön naiv. Die Prinzessin hat sich mit mir niederer, weiblicher Pflegekraft gar nicht abgegeben. Wir hatten auch keine gemeinsame Sprache. Und sie hatte wirklich ihren eigenen Stab dabei und ich hab nicht viel gemacht und hab mich schrecklich gelangweilt.

So bin ich zurück in die Pflege gekommen. Privat pflegen wollte ich dann aber nicht mehr, sondern wollte zurück auf die Station. Ich bin bei der Zeitarbeitsfirma geblieben und bin darüber in den normalen Stationsdienst gekommen. Erst in der Region um Hannover, dann in der Stadt selbst. Allerdings hatte ich kein Auto und mit Öffis immer in die Region zu fahren, war echt sehr zeitaufwendig. Deshalb hab ich nach einem Jahr die Firma gewechselt. Bei der nächsten Firma war ich auch etwa ein Jahr, bin dann aber abgeworben worden. Es gibt in diesem Bereich tatsächlich Headhunter. Ich weiß nicht, wie sie meine Telefonnummer herausbekommen hat, denn meine Handynummer stand nirgends, aber sie wusste sie irgendwie.

Der Wiedereinstieg war tatsächlich viel einfacher, als ich es erwartet hätte. Also ich habe keine großen Hürden gehabt. Ein paar technische Instrumente, wie das Blutzuckermessgerät waren neu. Die Abläufe, wie zum Beispiel die Durchgänge haben sich im Großen und Ganzen weniger verändert, wobei das Tempo sehr angezogen wurde. Es gibt viel mehr isolierte Patienten, kürze Aufenthaltsdauern, aber für mich persönlich ist der Wiedereinsteig nach zwanzig Jahren leicht gefallen. Achtundachtzig hatte ich die Ausbildung beendet und ab fünfundneunzig war ich nicht mehr aktiv in der Pflege, sondern nur über den Journalismus noch mit der Pflege verbunden. Allerdings mehr mental als praktisch.

Ich hab mich also abwerben lassen zu der Firma, bei der ich jetzt bin. Mit der Mitarbeiterführung und der Bezahlung bin ich ganz zufrieden. Immer unzufriedener werde ich allerdings mit den Arbeitsbedingungen vor Ort. Der Personalmangel wird immer schlimmer. Mittlerweile ist es Usus, dass Leute allein Spätdienst machen müssen. Auch auf chirurgischen Stationen, wo Demenz kranke Menschen sind, die gerade operiert wurden und aus dem Bett aufstehen wollen. Oder auf der Unfallstation mit vielen geriatrischen Patienten. Letztens erzählte mir ein junger Kollege, der gerade mit dem Examen fertig geworden ist und auf der Urologie begonnen hat, dass er im ersten Monat schon allein Spätdienste machen musste. Soweit ich weiß, ist das gar nicht legal. Er hat auch gleich wieder gekündigt. Von mir wurde auch schon mal verlangt, dass ich einen Spätdienst auf einer Abdominalchirurgie machen sollte. Das war am Anfang meines Wiedereinstiegs in die stationäre Pflege. Damals habe ich mich da irgendwie drauf eingelassen, aber es war eine Katastrophe mit zwei Notfällen und der Arzt kam nicht, weil er am OP-Tisch stand. Es war furchtbar und ich hab eine dicke Beschwerde hinterher geschrieben. Seit dem wurde es schon wieder drei Mal erwartet, wobei zwei Mal nur für weniger als eine Stunde waren. Ich ließ mich darauf ein, weil ich das verantworten konnte, obwohl der Vertrag das gar nicht zulässt. Laut Vertrag darf ich allein gar nicht arbeiten, außer nachts, da ist es was anderes.

Im Augenblick ist meine Motivation sehr gering. Sehr gering. Alle Schätzungen sagen, dass die Situation nicht besser wird. Ich mache den Beruf jetzt seit fünf Jahren wieder und ich fand es vor fünf Jahren schon heftig im Vergleich zu damals, als ich aufgehört habe. Da haben wir aus heutiger Perspektive Luxusdebatten geführt. Und selbst in diesen letzten fünf Jahren hat sich der Druck potenziert. Auch das interdisziplinäre Team muss stimmen. Wenn man aber angefahren wird, weil dieser Druck, den wir alle haben, abgelassen werden muss, dann macht das keinen Spaß. Und Pflegende lassen dann auch Druck ab, bei den Patienten. Ich habe auch mal eine demenzkranke Frau blöde angemacht, weil ich so genervt war. Da war ich durch. Sie ist krank und weiß das ja nicht und macht das nicht absichtlich, aber das potenziert so eine Krisensituation noch. Ich empfinde den Druck als enorm hoch und ich geh sehr oft frustriert nach Hause. Meine eigenen Ansprüche an mein Tun hab ich schon sehr reduziert und ich bin an einem Punkt angelangt, wo ich denke, ich will da raus.

Ganz selten bin ich noch journalistisch tätig und schreibe kaum noch, denn auch da haben sich die Bedingungen sehr verschlechtert. Rein finanziell verdiene ich in der Pflege etwa drei mal so viel. Die Honorare als freie Journalistin sind total gesunken in den letzten zehn Jahren und die Anforderungen gestiegen. Als freie Journalistin ist das kein attraktiver Job mehr. Als feste Redakteurin sieht das anders aus, aber im Bereich des Pflegejournalismus hätte ich das nicht mehr machen wollen. Das, was wir da früher geschrieben haben, sind schöne Modellprojekte, aber in der Praxis können die nicht umgesetzt werden. Das ist nicht mehr sinnhaft für mich. Sinnhafter ist die Praxis selbst.

Ich weiß noch nicht, wie lang ich das weitermache. Meine Firma hat auch eine Jobbörse mit verwandten Arbeitsbereichen. Vielleicht ist da etwas dabei für mich, zum Beispiel in der Rehaklinik. Denn eigentlich mag ich meinen Beruf sehr. Das ist eben ein sehr sinnhafter und erfüllender Beruf, aber unter den aktuellen Bedingungen kann ich da nichts mehr für mich umsetzen. Und da ist es egal, ob ich in einer Zeitarbeitsfirma arbeite, wo ich oft in Feuersituation reinkomme, oder als Festangestellte. Wie schon gesagt, da wird mittlerweile oft verlangt, dass die Leute ganz allein arbeiten müssen. Da hast du von vornherein keine Chance, deinen Dienst für dich zufriedenstellend zu erledigen. Meinen eigenen Nichten würde ich vom Pflegeberuf abraten, weil die paar Leute, die da sind, reiben sich auf. Das merkst du ja auch auf den Stationen. Die Krankmeldungen werden immer häufiger.

Gerade diese Woche habe ich zwei Bewerbungen für einen ganz anderen Bereich geschrieben. Im Bibliotheksdienst. Das hab ich während des Studiums mal für eine längere Zeit gemacht: Archiv und Stadtbibliothek. Als Historikerin ist das ja auch so ein bisschen verwandt.

Ich würde blieben, wenn es mehr Pflegekräfte gäbe und die müssten entsprechend entlohnt werden. Beides ist nicht gegeben und beides wird sich in absehbarer Zeit nicht ändern. Ich bin da pessimistisch.

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