Als ich in den letzten Zügen meiner Masterarbeit war, hab ich mir schon wieder überlegt, was ich denn jetzt damit machen könnte. Mein großer Plan war, dass ich mir selbst eine Stellenbeschreibung entwickle. Das hab ich dann auch getan und hab sie damals „klinische Pflegeforschung“ genannt. Oder? Ich bin mir über die Bezeichnung nicht mehr so sicher. Mit der sehr dezidierten Planung bin ich zum Pflegevorstand gegangen und hab gesagt, dass ich das machen möchte und die einzige in Greifswald bin, die in Kürze einen Master in Pflegewissenschaft haben wird und dass ich in der Praxis bleiben will. Ich hab ihm ein Modell vorgelegt, mit welchem Stellenanteil ich in der Forschung und mit welchem weiter auf der Station arbeiten möchte und was ich mir inhaltlich vorstelle. Ich bin dann völlig desillusioniert aus dem Gespräch herausgegangen. Ich war zwar die einzige mit dieser Qualifikation, aber er ist noch überhaupt nicht so weit. Er hat es einfach nicht begriffen und es schien ihn nicht zu stören, dass uns die anderen Kliniken um uns herum bereits abgehängt haben. Ich hab damit argumentiert, dass die Stabsstelle klinische Pflegeforschung oder auch die Einführung von ANPs nichts Neues mehr ist und andere Kliniken das bereits umgesetzt haben. Ich war auch nicht auf die Stabsstelle fokussiert, sondern hätte mich zu allem möglichen anderen überreden lassen, was Forschung, Wissenschaft und Praxis verbindet. Doch da bin ich auf taube Ohren gestoßen.
Da bin ich erstmal in ein Loch gefallen und bin dann zufällig über einen Emailverteiler der Akademie der Ethik in der Medizin, das ist eine Fachgesellschaft in Deutschland auf eine Stelle am Institut für Medizinethik aufmerksam geworden. Da stand, man braucht mindestens Masterabschluss in Philosophie, Pflegewissenschaft oder einer anderen Sozialwissenschaft. Am Besten eine Doppelqualifikation. Und ich dachte, dass ich das mit der Pflegeausbildung und dem Studium habe. Obwohl die mit Doppelqualifikation ja meistens Mediziner plus noch was meinen. Aber egal. Ich hab trotzdem lange überlegt, ob ich mich bewerben sollte, weil ich mein Studium ja noch nicht abgeschlossen hatte. In meinem Umfeld haben mich aber alle ermutigt und so hab ich mcih beworben. Und ich hab die Stelle bekommen.
Heute hier morgen dort
Von da an hab ich meine Stelle in der Klinik auf 50% reduziert, das heißt ich arbeite dort wie gehabt als normale Krankenschwester auf der Intensivstation und den anderen Teil als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut. Dem Pflegevorstand ist es nach wie vor vollkommen egal, welche zusätzliche Qualifikation ich hab, wobei meine Pflegeleitung, die mich von Beginn an unterstützt hat, meine Kompetenzen extrem zu schätzen weiß. Sie schreibt mich zu bestimmten Themen an und wir tauschen uns fachlich oft aus.
Das ist ein Spagat, den ich versuche seit ein paar Jahren mal mehr, mal weniger gut zu meistern. Während der Lehrzeiten oder wenn Konferenzen anstehen, ist es mit der Dienstplangestaltung schwierig, da ich alles wichtige mitnehmen möchte. Wie das für meine Kolleginnen ist, kann ich gar nicht genau sagen, das müssten wir sie dann eher selbst fragen, aber ich denke ich bin schon ein Exot. Am Anfang haben alle gesagt, dass ich einen Knall hab, weil ich noch immer in der Pflege geblieben bin. Sie haben gesagt, sie würden zu 100% woanders hingehen, weil ich das gar nicht mehr nötig hätte.
Mit dem einen das andere schätzen können
Meistens bin ich von
Dienstag bis Donnerstag am Institut, Montag, Freitag und eventuell
das Wochenende arbeite ich auf der Station. Manchmal auch am
Donnerstag im Spätdienst. Der größere Spagat sind die
Lehrveranstaltungen, weil sie auch mal am Nachmittag sind und nicht
nur am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag, sondern auch an den
anderen Tagen. Also muss ich meine Kollegen belästigen, dass sie mit
mir Dienste tauschen. Das ist schwierig. Und die Pflegewissenschaft
ist unberechenbar. Man reicht fünf Konferenzbewerbungen ein und
hofft, dass eine angenommen wird. Und es kann sein, dass denn
plötzlich von allen Zusagen kommen. So flexibel und kurzfristig ist
der Dienstplan aber nicht, denn bei uns steht er meist acht Wochen im
Voraus fest. Da bin ich auch echt dankbar, dass ich meine Kollegen
anbetteln darf, dass sie mit mir tauschen und ich ihnen dann mal
einen anderen Gefallen tun kann. Und dann gibt es ja auch noch die
Familie, die da irgendwie dazwischen muss. Also diese Koordination
ist das Schwierige.
Wissenschaft arbeitet auch zu ganz anderen
Arbeitszeiten. Als ich begonnen hab, hab ich gesagt, ich möchte gern
um sieben mit dem Arbeiten beginnen. Andere beginnen erst um neun und
da hab ich dann schon mein erstes Tief. Das sind zwei völlig
unterschiedliche Lebenswelten. Daran hab ich mich aber ganz gut
gewöhnt und genieße mittlerweile die Vorzüge von beiden. In der
Pflege hab ich nach achteinhalb Stunden Feierabend und im Institut
sitze ich manchmal zwölf Stunden und immer noch kein Feierabend in
Sicht.
Manchmal sitze ich tagelang am Schreibtisch und schiebe Wörter hin und her oder bekomme schlechte Review-Gutachten. Dann denke ich, was mache ich hier eigentlich? Wenn ich dann zwei, drei Tage wieder auf der Station war, dann hab ich unmittelbar das Gefühl, dass ich was sehr Wertvolles mache, wovon andere profitieren. Das ist noch mal eine ganz andere Art von Arbeit. Ich weiß nicht, ob ich wieder voll in der Pflege arbeiten könnte, weil ich sehe ja meine Kollegen, die zwanzig oder fünfundzwanzig Tage am Stück mit kurzen Wechseln und so weiter arbeiten. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass man dann nicht mehr den Wert der eigenen Arbeit so sehen kann. Ich glaube, zurück würde ich es nicht schaffen. Mit diesen beiden Stellen, erkenne ich die Vorzüge des einen und des anderen.
Wenn ich wieder fünf Tage am Stück auf Station war, dann genieße ich es auch mal wieder als Krankenschwester da zu sein und mit dem Patienten zu arbeiten und muss mich nicht um irgendwelche Formulierungen streiten, die keine unmittelbare Relevanz für die Patienten haben. Das macht zwar auch Spaß, dieses anspruchsvolle wissenschaftliche Arbeiten. Ist aber was komplett anderes. Am Liebsten möchte ich beides, nur wie ich das schaffe, weiß ich noch nicht.
Ich glaube auf Dauer ist mein jetziges Modell mit zwei Mal 50% bei zwei verschiedenen Arbeitgeber schwierig, weil man immer eine Konkurrenzsituation hat. Vor allem, weil man in der Pflege ja auch an Feiertagen und Wochenende arbeitet, geht die Woche immer rollend weiter. Vielleicht gibt es ja irgendwann clinical scientist oder ähnliches, die es auch bei den Medizinern gibt. Oder Stabsstellen in der Pflegeforschung, die beides verbinden und wo man nicht nur am Schreibtisch sitzt. Das Wesentliche ist ja, sich immer wieder daran zu erinnern, warum man am Schreibtisch gelandet ist und da hilft eigentlich nur die praktische Arbeit. Da sieht man die Probleme und das, was einen antreibt. Wenn man den Anschluss zur Praxis verliert, dann verliert man das Sinngefühl für die eigene Arbeit.
Reaktionen der Kolleg*innen
Viele waren zu Beginn aber sehr kritisch, weil sie nicht wussten, wozu man das braucht. Über die Zeit haben sie aber gemerkt, dass man mich auch andere Dinge fragen kann und dann heißt es „das ist doch ein Fall für Anna“ oder „da gibt es doch bestimmt auch eine Studie zu“ und irgendwann ist der Zynismus dabei weggefallen und ich wurde ernsthaft gefragt. Oder wenn Ärzte besonders hartnäckig in Bezug auf eine bestimmte Therapie diskutieren, dann werde ich auch immer vorgeschoben. Das Argumentieren ist noch mal ein ganz anderes. Ärzte wollen ja Zahlen, Statistiken, Studien, also eine Evidenz. Muss einem nicht gefallen, aber es ist ihre Art zu denken und wenn man da mitmacht, dann kann man schon einige Gespräche in eine andere Richtung lenken.
Ich habe auch das Gefühl, dass die ärztlichen Kollegen mir anders begegnen. Die sagen nur, irgendwann wird dir doch die Welt hier zu klein und sie freuen sich schon auf den Tag, wenn ich Dr. Schwester Anna bin und wollen mir den goldenen Schieber schenken. Manche knabbern auch daran und andere finden es einfach richtig cool. So oder so, bin ich Exot.
Was die Zukunft bringt
Ich mache momentan eine kumulative Promotion und bin auch dort in den letzten Zügen. Die ersten Publikationen sind durch und zwei warten noch auf die Annahme und wenn diese angenommen sind, dann kann ich hoffentlich die Doktorarbeit einreichen und hoffe, dass ich dann vielleicht 2020 Dr. Schwester bin. Was danach kommt? Wer weiß. Es gibt so viele verschiedene Wege, die mir dann offen stehen. Am Liebsten möchte ich Intensivpflege und Pflegewissenschaft miteinander verbinden, denn beide Jobs machen mir Spaß.
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