Teil 3: Pflegende aller Art vereinigt Euch! – von der fehlenden Solidarität

Gerade erst vor einer Woche war ich das erste Mal seit über einem Jahr wieder in dem Haus, kannte weder die neurologische Station, auf der ich eingeteilt war, noch die Strukturen drum herum. Unter den Patienten waren sechs Demenzkranke, drei davon mobil und sturzgefährdet. Eine lief halb nackend über den Flur. Wir hatten zu zweit Spätdienst und es war kaum möglich, diese Menschen zu betreuen. Der eine suchte seine Frau, der andere saß im Rollstuhl, durfte nicht aufstehen, versuchte es aber immer wieder und hatte bereits einen Sturz in der Vorgeschichte. Wir hatten auch einen präfinalen Patienten, um den wir uns gar nicht mehr kümmern konnten. Er war schon sozialtot, bevor er wirklich gestorben war. Das war wirklich schlimm.

Meine Kollegin hatte schon um zwanzig Uhr Schluss und ich sollte unter diesen Bedingungen bis einundzwanzig Uhr dreißig allein weiterarbeiten. Da hab ich mich geweigert und gesagt, dass ich das nicht machen werde. Das kann ich nicht verantworten. Das hab ich gleich mittags nach der Übergabe gesagt, weil wir das Arbeitspensum da schon absehen konnten. Mir wurde dann gesagt, dass ich die Hauptnachtwache, die Viertel vor Acht kommen würde, anrufen solle, damit sie als zweite Pflegeperson agieren kann. Das hab ich dann auch gemacht und sie kam dann auch. Allerdings maulte sie mich an, warum ich mit einem dreijährigen Examen, nicht allein arbeiten wollte. Sie wollte meine Argumentation überhaupt nicht verstehen. Ich fühlte mich verhöhnt und wir haben uns dann richtig gestritten und es gipfelte darin, dass sie sagte, sie bliebe jetzt da und ich könne gehen. Sie sehe nicht ein, warum zwei Leute bezahlt werden müssten. Das war ein christliches Haus. Mir war es dann recht. Mit so einer Kollegin wollte ich dann nicht mehr arbeiten. Vielen Dank. Hab dann aber noch am selben Abend eine Beschwerde darüber geschrieben. Mein Chef selbst hatte mir mal erzählt, dass weder wir von der Zeitarbeitsfirma noch die Festangestellten aus dem Haus tagsüber allein Dienste machen dürften. Ich finde es unglaublich, was da so an Dienstplänen frisiert wird. Da wird dann so etwas gesagt, wie, dass die Kollegin von der Nebenstation käme und bei Bedarf aushelfe. Das kannst Du aber ziemlich vergessen.

Durch mein Politikstudium und vor allem durch meine lange Selbstständigkeit als Journalistin bin ich mental, geistig und psychisch selbstständiger geworden und bin sehr weit weg von diesem hierarchischen Denken. Ich bin auch immer wieder entsetzt… also eigentlich könntest du jeden Tag eine Überlastungsanzeige schreiben. Machen aber nur wenige. Wenn du fragst warum nicht, liegt das an prekären Arbeitsverhältnissen in unbefristeten Verträgen oder in der Angst, gekündigt zu werden. Dann will man nicht als belastbar gelten oder dass im Kollegium schlecht von einem gesprochen wird.

Die eine festangestellte Kollegin hat den Streit mit der Hauptnachtwache noch mitbekommen und sie wollte eigentlich eine Überlastungsanzeige schreiben, aber die Reaktion der Hauptnachtwache hat genau diese Ängste bestätigt und ob die Kollegin die Anzeige, die sie schon in der Hand hielt tatsächlich abgeben hat, kann ich nicht sagen. Aber solche Umstände halten einige davon ab.

Die deutsche Pflege ist aus historischen Gründen nicht solidarisch miteinander, weil wir seit zweihundert Jahren eine der Medizin nachgestellte Position haben und oftmals nicht als professionell angesehen werden. Das war vor zwanzig Jahren noch sehr viel schlimmer als heute.

Als Azubi damals hatte ich eine Situation, dass ein Patient zu mir sagte, „ach Schwester, kommen Sie doch mal her, dass ich sie mal anfassen kann“. Das musst du dir mal vorstellen. Und das war nur einer, der das ausgesprochen hat, was sich viele andere gedacht haben. Da herrschte dieses alte Bild von Krankenschwester und barmherzige Helferin, Mutter, Geliebte, Nutte, was weiß ich. Das spielte da auch noch rein und dass wir damals keine akademische Ausbildung hatten. Die gab es bereits in anderen Ländern, wie den Philippinen oder Spanien. Also die historischen Gründe spielen da mit rein und auch Schwester, der Begriff kommt aus dieser christlichen frühen Zeit.

Kolleginnen der Kollegin, die in der Pflege studiert haben, entdecke ich meist eher durch Zufall. Wenn man mal ein bisschen mehr Zeit hat, sich zu unterhalten, stellt sich heraus, dass es eine akademisch gebildete Kollegin ist. Die machen das selbe, wie alle anderen auch, aber es gibt keine Stellen für diese Absolventen. Ihre Kompetenzen liegen nach einem universitären Examen brach, was sehr schade ist. Da sind uns andere Länder voraus.

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