Teil 3: Mehr Feminismus, bitte!

Die Pflege ist null feministisch. Warum das so ist, weiß ich nicht, obwohl ich ja so meine ganz persönlichen Erklärungsansätze hab. Frauen lernen früh, sich in Systeme zu fügen. Das Zitat „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es“, ist auch nach über 40 Jahren noch aktuell. Die Rollen werden uns so eingepflanzt, dass es ein echter Kampf ist, da wieder herauszukommen. Sich in einem so klassischen Frauenberuf mit Liebe, Fürsorge und Barmherzigkeit und starken hierarchischen Strukturen durchzusetzen und diese Strukturen zu durchdringen, das ist allein schier nicht zu bewältigen. Warum sollten Frauen das machen, zumal sich viele mit diesen Rollen identifizieren.

Das spannende war, dass ich mich parallel zur Pflegeausbildung für das Medizinstudium beworben hatte. Über die zentrale Vergabestelle bin ich nicht zur Uni gekommen, aber es gab einen bestimmten Prozentsatz, der über ein Medizin-Test und Bewerbungsgespräche aufgenommen wurden. Die FU Berlin hatte mich dann zu so einem Gespräch eingeladen und das war auch ein Erlebnis der dritten Art, was mich dazu bewog, mich noch mehr mit der Gender-Problematik auseinander zu setzen. Ich war damals, 1989, in einem Gespräch mit vier Professoren, also Männern, und ziemlich zu Beginn des Gesprächs wurde mir die Frage gestellt, was ich machen würde, wenn ich schwanger würde, denn ich sei ja eine junge Frau. Damals war das auch deshalb für mich noch mal besonders interessant, weil ich da schon wusste, dass ich lesbisch bin und das für mich keine vorrangige Frage war. Ich empfand die Frage deshalb sofort für völlig daneben und als sehr persönlich. Also erstens, weil es für mich in dem Moment sowieso nicht in Frage kam, aber dann auch, dat did die nüscht anzugehen hatte. Die waren gefühlt steinalt und dann noch Männer – das ging überhaupt nicht. Ich bin noch heute über meine Schlagfertigkeit erstaunt, denn ich hab gefragt, ob sie die männlichen Anwärter diese Frage auch stellen, denn das beträfe ja alle. Das Gespräch war dann nach fünf Minuten beendet. Diese Situation hat sich nachhaltig bei mir eingeprägt und hat mich sensibler gegenüber anderen Personen und meines Gegenübers gemacht. Auch heute als Führungskraft erinnere ich mich immer wieder an diese Situation zurück und mache mir klar, was für Fragen ich stelle und dass ich nichts von dem Menschen, der mir gegenüber sitzt, weiß. Und so ist es auch in der Pflege. Ich weiß nichts über den Menschen, den ich pflege, daher geht es immer darum, professionell und empathisch zu sein. Diese Erfahrung aus dem Gespräch trug noch mal deutlich dazu bei, mich bewusst für die Pflege zu entscheiden.

Hätte ich meine eigene Identitätsfindung in meinen Zwanzigern nicht gehabt, wer weiß, ob ich heute so denken würde. Ich musste mich damit auseinandersetzen, dass ich eben nicht einer klassischen heteronormen Rolle entsprach und auch damit, wer ich überhaupt bin. Für all die Fragen, die einem im Comingout begegnen, zum Beispiel ob ich eine vollwertige Frau bin, bin ich zu tiefst dankbar. Auch wenn die Zeit schwer war, wäre meine Identifikation als Mensch heute eine andere, als wenn ich nicht durch das Comingout gemusst hätte. Auch im Kontext mit diesem Beruf. Ich erlebe das im Unterricht und in Gesprächen mit den Auszubildenden, wenn wir zum Beispiel das Grundgesetz durchgehen. Wenn junge Frauen dann sagen, sie möchten versorgt werden, bin ich immer sehr dankbar, wenn andere junge Menschen, egal wer, sagt, dass dann ja auch jemand gebraucht wird, der sie versorgt und dass das eine Abhängigkeit schafft und ob sie nicht frei sein wollten. Ich selbst wollte nie abhängig sein, sondern frei von meinen Eltern oder anderen. Ich wollte ihnen nicht auf der Tasche liegen. Keine Ahnung, wo ich das her hatte, vielleicht hab ich das ja auch bei Susanne Barden gelesen. Über die Gewerkschaft ärgere ich mich vor allem, weil ich denke, dass sie die Pflege nicht gut vertreten. Diese ewige Dauerverweigerung zum Thema Pflegekammer finde ich unsäglich. Einem Frauenberuf die Stimme zu verweigern und sich damit auch der Systemkritik zu entziehen, finde ich unterirdisch.

Ich würde mich als Mann auch dagegen wehren, dass das Soziale, Menschliche und Fürsorgliche nur den Frauen zugeschrieben wird. Was wären Männer für tolle Menschen, wenn sie das für sich annehmen könnten und dürften. Und das wird ja dann für viele Männer auch zum Problem, wenn sie in die Pflege gehen. Sie müssen sich dann auch mit ihrer Rolle auseinandersetzen und identifizieren. Auch mit der ewigen Zuschreibung schwul zu sein. Ob oder ob nicht, das ist ja auch eine Findung.

Die Feministinnen aus der Pflege, die wir kennen, das sind die ganz bekannten, angefangen bei Florence Nightingale und Agnes Karll. Die hat man gehört. Ansonsten gab es da nicht viele. Und wenn ich mir die Genderverteilungen in den Leitungsstrukturen so ansehe, stelle ich die Frage an die gesamte Profession, wer wir sind und warum sich so viele Frauen diese Positionen nicht zutrauen.

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