Ganz früh morgens fuhr ich mit dem Bus und dem Regionalzug zurück nach Recklinghausen, um dort mein Interview mit Christel Bienstein zu führen.
Am heißen Nachmittag kam ich zurück in die Miniaturvorstadtsiedlung, in der ich noch immer eine Besonderheit war und baute in der brühenden Hitze mein Zelt zusammen. Alle nassen Kleidungsstück und auch das verschwitzte Zelt waren inzwischen getrocknet. Erst gegen fünfzehn Uhr dreißig kam ich los und wühlte mich mit aller Kraft aus einer Stadt, die mich ruhig und offen empfang, mich nun aber nicht mehr weiter ziehen lassen wollte. Es lagen Straßen und Gleise im Wege rum. Ich fand die Brücke der Solidarität (den Namen der Brücke erfuhr ich erst viel später; er gefällt mir) und fuhr freudig dem anderen Rheinufer entgegen, denn ab dort sollte meine Rheintour beginnen.
Ich hatte romantische Vorstellungen vom Rhein, denn immerhin kannte ich ja auch hier und da ein paar schon Ecken. Vor acht Jahren bestaunte ich den Rheinfall bei Schaffhausen, wanderte vor sechs am Ostufer entlang von Breisach nach Rust, überquerte ihn ein Jahr später mit dem Rad in Breisach und machte an dem Tag einen Zehnminutenbesuch in Frankreich. Vor vier Jahren saß ich am Ufer in Basel und beobachtete die Basler*innen mit ihren bunten dry-bags in der schnellen Ströumung, badete ein paar Tage später irgendwo bei Straßbourg in ihm und weitere Tage später schlängelte ich mit dem alten Bulli entlang des sagenhaften Mittelrheins. Ich sah die vielen schönen Orte und stellte mir einen Radweg vor, der ununterbrochen am Wasser entlangführen würde, so dass ich stets den Booten zuwinken könnte.
Auf der anderen Seite des Rheins befand sich allerdings der Duisburger Hafen, wo jemand zwischen Autobahnzubringer und Gütergleisen einen Gehweg liegen gelassen hatte. Jemand anderes schrieb Radweg dran. Und so fuhr ich an Containerparks und Lastwagen vorbei, in der Ferne ahnte ich so etwas wie einen Fluss.
Es verging eine ganze Weile bis ich im Grünen fuhr. In Krefeld verlief der Radweg zunächst ebenfalls am Hafen. Links von mir der Rhein, rechts bis an die Straße rückende Gebäude ohne Türen und mit winzigen Fenstern, aus denen niemals jemand herausschauen wird. Über dem Weg führten dicke Rohre und Schläuche Wasser aus oder in den Rhein. Es war menschenleer und bedrückend still. Eine Baustellenampel erlaubte stets nur einer kleinen Gruppe von Autos, die enge Straße zwischen Betonufer und Betonwand zu passierren. So huschten sieben, acht Fahrzeuge von hinten an mir vorbei, dann wieder Stille, dann huschten sie wieder zurück. Dann wieder Stille. Auf einer dieser Autowellen ritten drei fahrradfahrende Berufspendeler. Zumindest hielt ich sie für solche, da sie außer einem kleinen Rucksack oder einer kleinen Fahrradtasche nichts bei sich trugen. Außerdem fuhren sie mit einer solchen Selbstverständlichkeit auf der Straße zwischen den Autos entlang, dass ihr Fehlen eine Unordnung gewesen wäre. Einer von ihnen grüßte mich und wartete an der nächsten Kreuzung auf mich.
Frederik war ebenfalls Berufspendler, arbeitete irgendwo bei Duisburg bei einem Turbienenhersteller und will nun zwei oder drei mal in der Woche den Weg zurück nach Hause, nach Düsseldorf mit dem Rad fahren. Er dirigierte uns elegant durch Krefeld, wo ich mich sonst wahrscheinlich wieder nur elendig verfahren hätte. Er fuhr auf seinem achtundzwanzigzoll Rennrad verdammt schnell und zog mich somit über zwanzig Kilometer meinem Ziel entgegen. Es war gut, Strecke zu machen, aber auch anstrengend. Wir unterhielten uns über das Reisen auf dem Rad und über die fahrradverachtende Verkehrspolitik. Der Weg nach Krefeld wurde sehr schön und uns begegneten viele Radler*innen. Er wollte diesen Sommer mit einem Freund mit dem Zug nach Georgien, um dort auch mit den Rädern umherzureisen. Eigentlich würde er auch gern mal raus und einfach losfahren. Kurz vor Lörick bog er rechts in die Felder, um Kirschen zu pflücken. Den restlichen Weg fuhr ich bedächtig.
In Lörick landete ich endlich auf einem Zeltplatz, der einer war. Dort waren bis auf zwei, drei Dauercamper nur Urlauber*innen auf der Durchreise. Neben mir waren noch fünf oder sechs andere Radreisende unterwegs, darunter auch ein älteres Pärchen, die zeitgleich mit mir ankamen. Ich entdeckte auch eine alten VW-Bus und eben viele Camper.
Ich hatte Durst von der schnellen Fahrt in der Abendsonne und exte eine kleine Fanta, die im Laufe meiner nächsten Touren zu einer echten Wundermedizin werden sollte. Süßes Wasser, das brachte ich abends nach meiner Ankunft oft.
In Lörick das gleiche Spiel, wie all die Male zuvor auch: Zelt aufbauen, duschen gehen, essen. Am Holztisch saßen bereits Barbara und Roland, die sich kurz vorher kennenlernten. Barbara startete ihre Reise in Bonn und will nach Rotterdam. Roland in der Schweiz, an der Rheinquelle und will zur deutschen Mündung des Rheins. Wir redeten über Geschwindigkeiten, Gepäcktaschen, Zelte und darüber, dass es ok ist, das Zelt auch nass einzupacken. Ich habe schon öfter schlechte Erfahrungen gemacht und habe stets die Befürchtung, dass mein Zelt innerhalb von wenigen Stunden schimmeln könnte. Beide fanden es übertrieben und sagten mir, dass das dem Zelt nichts ausmache, einen Tag mal nass in der Hülle zu sein. Ich blieb skeptisch. Roland ging früh ins Bett, Barbara und ich unterhielten uns noch ein wenig. Im Rhein könne man nicht baden gehen, sagte sie. Es würde überall davor gewarnt, weil die Strömung einfach zu stark sei und regelmäßig Menschen stürben. Wir teilten viele Gemeinsamkeiten und ich entdeckte sofort den beißenden Geruch von Essig an ihr. Sie wusch ihre Haare ebenfalls mit Kernseife und Essig, pflegte ihren Körper mit Olivenöl und hatte alles mögliche in kleine wiederverwendete Plastikfläschchen dabei. Wir teilten auch Hobbies und Ansichten und einen schönen Abend in Lörick.
Views: 495