Teil 1: Der Weg zur Dr. Schwester

Frühkindliche Prägung und pubertärer Widerstand

Der Wunsch, Krankenschwester zu werden hat bereits als Kind angefangen. Meine Mutter war Ärztin und so hab ich schon als Kind viel Zeit in der Klinik im Wartezimmer bei den Patienten verbracht. Ich fand schon immer beeindruckend, wie die Schwestern durch die Zimmer gehuscht sind und mit den Patienten geredet haben. Und sie wussten, was bei jedem einzelnen wirklich wichtig ist. Ich fand immer toll, wie sie die Stimmung eines Menschen innerhalb weniger Sekunden erfasst haben und merkten, was hier jetzt wirklich gebraucht wird.

Später hat sie sich selbstständig gemacht und weil sie alleinerziehend war, war ich auch dort oft mit im Wartezimmer und hab mir Geschichten angehört oder hab den Patienten Bilder gemalt. Und so bin ich auch immer wieder mit der Medizin in Berührung gekommen.

Irgendwann hat sich die Frage gestellt, will ich Ärztin werden, so wie meine Mutti oder lieber Krankenschwester, weil ich das, was sie gemacht haben schon immer besser fand. Weil immer, wenn es ans Eingemachte ging, kamen die Krankenschwestern. Wenn die Ärzte den Raum verließen, dann wurd‘s erst richtig ernst.

Meine Entscheidung war kein kein Zeitpunkt, sondern eher ein Prozess und in der Familie wurde viel diskutiert, ob ich nicht doch studieren möchte, weil ich ja auch auf dem Gymnasium war. Ich hab mich dann aber durchgesetzt, denn ich wusste seit der neunten Klasse, was ich werden will und als Krankenschwester brauchte ich kein Abitur. Und weil ich für die Ausbildung mindestens siebzehn sein musste, hab ich bis zur elften Klasse meine Fachhochschulreife gemacht. Dann bin ich von der Schule gegangen, denn ich hab da keinen Sinn mehr drin gesehen, irgendwelche Kugeln irgendwo herrunterrollen zu lassen, um zu berechnen, wie schnell das jetzt war. Ich wollte endlich das machen, was mir Spaß machte.

Mit meiner Entscheidung war ich von Anfang an der Ausbildung, die ich hier in Greifswald gemacht habe, sehr glücklich. Ich kann mich noch an den ersten Tag in der Praxis erinnern, denn wir waren 2004 der erste Jahrgang, der nach der neuen Ausbildungsordnung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin ausgebildet wurde. In den ersten sechs Wochen haben wir kein Krankenhaus von innen gesehen. Und im ersten Praxiseinsatz war ich mit meiner Banknachbarin in der HNO, in der hauptsächlich Patienten mit Kehlkopfkrebs und Tracheostoma lagen. Wir sind morgens um fünf nach sechs in ein Vierbett-Männer-Zimmer erstmal gegen eine Wand gelaufen und ein Mann mit Tracheostoma hat gehustet und der Flummi schoss an ihr vorbei gegen die Wand, woraufhin sie gleich kollabierte. Ich hab sie nie wieder gesehen. Ja, so kanns einem auch gehen, wenn man keine Ahnung hat, was auf einem zukommt.

Ethik als Antrieb

Während meiner Ausbildung hatte ich Glück und war auf verschiedenen Intensivstationen, z.B. auf einer Weaning-Station, auf einer internistischen und einer chirurgischen Intensivstation. Ich hab mich da gleich wohl gefühlt und fühlte mich sofort zu Hause. Auf der internistischen hab ich meine Prüfung gemacht und wurde dann von der operativen Intensivstation abgeworben. Erst konnte ich mir das nicht vorstellen, weil ich die internistischen Patienten immer spannender fand. Da kommst du ins Zimmer und weißt nicht sofort, was los ist. Das ist bei den chirurgischen anders. Und trotzdem bin ich da geblieben.

In den ersten Monaten hab ich den Larsen hoch und runter gelesen und nach ein paar Jahren wollte ich dann die Fachschwesternausbildung machen, damit ich noch mal in Schwung komme. Allerdings waren die Wartelisten sehr lang und man brauchte viel Berufserfahrung. Dass es nicht sofort geklappt hat, als ich es versucht habe, hat mich frustriert und so hab ich gesucht, welche Möglichkeiten ich noch hab. Je länger ich auf der Intensivstation war, desto mehr fand ich heraus, was die eigentliche Herausforderung war. Das waren nämlich nicht die technisch-medizinischen Geräte, die erlernbar sind wie das Fahrradfahren, sondern es waren der Mensch, der da liegt, mit seinen Angehörigen. Und das trat immer mehr in den Vordergrund. Je mehr ich mich damit auseinandersetzte, desto mehr erkannte ich die Baustellen und das Verbesserungspotential, z.B. was die Kommunikation betrifft. Und so bin ich in das Thema Ethik hineingerutscht. Bei meiner Recherche nach Weiterbildungsmöglichkeiten bin ich auf den neuen Studiengang „innovative Pflegepraxis“ gestoßen. Das Studium war explizit für Pflegende mit Berufserfahrungen ausgeschrieben. Mit meiner Pflegedienstleitung war ich dann darüber im Austausch und sie fand diesen Studiengang passend für mich und hat mich unterstützt. Allerdings war das eine Uni im Ruhrgebiet, nämlich die Uni Witten-Herdecke, also über neunhundert Kilometer weit weg. Ich hab dann alle Aufnahmeprüfungen geschafft und plötzlich hieß es dann, du kannst anfangen.

Das Studium war berufsbegleitend ausgerichtet, weil das Ziel war, dass wir alle in der Praxis bleiben, direkt am Ort, Projekte leiten und Strukturen verändern. So bin ich ab dem Zeitpunkt an regelmäßig zwischen Greifswald und Witten gependelt.

Das Studium war krass und eine total spannende Zeit, weil ich mit über zwanzig Pflegenden aus der ganzen Republik in einem Hörsaal saß, die alle irgendwie Visionäre waren, denn wir wussten nur, wir studieren hier etwas, von dem wir aber nicht wissen, was es mal wird. Wir waren Pioniere und hatten Großes vor. Es war toll, dass alle so viel Berufserfahrungen hatten und ich war eine der jüngsten, die meisten waren vierzig plus.

Bachelor …

Während des Bachelorstudiums hab ich ganz normal weitergearbeitet, wie alle anderen auch, dass heißt das Studium hat immer in der Freizeit und nachts stattgefunden. Und Gottseidank hat mich auch hier meine Chefin sehr unterstützt, indem sie mich in der Präsenzwoche aus dem Dienst herausgenommen hat. Andere mussten für das Studium Urlaub nehmen oder die Stunden an anderen Tagen wieder reinarbeiten. Daran merkt man auch, dass die Gruppe sehr auserlesen und speziell war. Ich war vom Studium sehr begeistert, denn ich hatte so viel gelernt und je mehr es sich dem Ende entgegen neigte, hatte ich das Gefühl, je mehr du weißt, desto dümmer fühlst du dich. Irgendwie fühlte sich das nur so halb fertig an und da ich eh schon einmal da war, hab ich den Master für Pflegewissenschaft gleich hinten rangehängt. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube Witten war die erste Fakultät, die einen solchen Studiengang anbot.

… Master

Da ging es dann wirklich um die Pflegewissenschaft und auch hier war das Publikum wieder sehr gemischt, mit Personen, die dann in Stabsstellen der Pflegeforschung oder in Krankenkassen oder als ANPs auf ihren Stationen arbeiten wollten. Die Gruppe war noch mal kleiner mit nur zwölf Studierenden, weshalb die Lernatmosphäre ganz toll war. Rückblickend waren diese zwei Jahre auch wieder furchtbar. Wenn man so drinsteckt, denkt man, naja es geht ja gar nicht anders als es einfach durchzuziehen, aber man geht auch am Stock, vor allem weil ich auch in der Zeit noch voll auf der Intensivstation gearbeitet hab.

Sowohl in der Bachelor- als auch in der Masterarbeit hab ich mir ethische Fragen rausgesucht, weil das ja auch das war, was mich angetrieben hatte, überhaupt mit dem Studieren zu beginnen. Mein Betreuer in der Bachelor- und Masterarbeit war Martin Schnell, ein Philosoph, der sich mit Pflegeethik beschäftigt und mit dem ich bis heute Kontakt habe. Er hat mich auf diesem Gebiet zu seinem Zögling gemacht. Und dadurch bin ich bei dem Thema hängen geblieben.

Düster optimistischer Ausblick

In zehn Jahren haben wir vermutlich die gleichen Probleme wie jetzt. Prozesse dauern lang und auch in zehn Jahren werden wir noch ein Nachwuchsproblem haben und unter Mangel leiden.Wir werden auch immer noch über fehlende Anerkennung jammern, wobei es hoffentlich graduell weniger wird. Ich möchte nicht sagen, dass alles aufhört, aber ich bin immer traurig, wenn Leute in meinem Umfeld sagen, meine Kinder dürfen alles werden nur keine Krankenschwester. Das erste, was sie ihren Kindern ausprügeln ist der Beruf der Pflege. Das kann ich nicht nachvollziehen, denn es ist nach wie vor ein toller Beruf. Jeder Beruf bringt auch seine Schwierigkeiten und Herausforderungen mit sich. Ich kann nicht verstehen, dass man den Nachwuchs so abschreckt und wünsche mir, dass das nachlassen wird. Ich hoffe auch, dass nicht alle von denen, die eine duale Ausbildung machen oder studieren, nur in der Wissenschaft am Schreibtisch landen. Weil man ja gerade diese Leute in der Praxis braucht. In anderen Ländern funktioniert es und irgendwann ist dann auch die Dr. Schwester am Bett ganz alltäglich.

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