Hitzeerschöpfung

Von Phoren aus fuhr ich am nächsten Morgen entlang der Donau, obwohl sie mich sehr oft verließ, ich sie nur in einem Graben erahnen konnte und selbst leider an einer Straße entlang geführt wurde.

Kurz hinter Immendingen fing die Donauversickerung an. Ich wollte es nicht glauben, aber die Donau verschwand tatsächlich komplett. Es gab einen Abschnitt, da stand ich in einem leeren Flussbett.

Ich startete den Morgen mit einer Brause, die ich mir noch am Campingplatz kaufte. Mir gefiel der Energiekick am Tag zuvor, den ich durch die Spezi vom Bauern erhielt. So dachte ich, könnte ich ja den Tag starten. An der Donauversickerung gab es einen kleinen Imbiss, der sogar vegane Burger und Süßkartoffelpommes anbot. Die Pommes waren mir zu salzig, so dass ich das Gröbste abkratzte.

Es war elf Uhr und schon wieder verdammt heiß. Die Brause wurde mir bald zu süß und die Pommes hinterließen einen komischen Geschmack im Mund. In Tuttlingen kaufte ich frische Erdbeeren, die ich wieder vorn an der Lenkradtasche befestigte. Ich kaufte auch eine Zuckermelone (für mein Abendbrot) und viel Wasser. Ich trank die Hälfte davon gleich vor Ort. In Tuttlingen selbst führte der Weg über einen Bahnübergang, der kurzfristig gesperrt war, weil die Bahnanlage eine Signalstörung aufwies. Zwei Polizist*innen sperrten den Bereich ab. Niemand durfte hindurch. Es führen wegen der Signalstörung zwar keine Züge, aber hindurch dürfe man trotzdem nicht. Eine orstansässige Fahrradfahrerin leitete mich durch Tuttlingen zu einem anderen Bahnübergang. Wir fuhren kurz an der Bundesstraße, dann duch eine befahrene Stadtstraße, kämpften uns durch eine enge Bahnhofsunterführung und fuhren dann in soetwas wie einem Gewerbegebiet. Mich ärgerte das sehr. Diese unnötige und nicht ganz ungefährliche Umleitung (ohne Radweg), obwohl ich in weniger als drei Sekunden auf der anderen Seite der nicht befahrenen Bahnschiene gewesen wäre. Aber Ärgern bringt ja nichts. Ich fuhr weiter und der Weg wurde schöner.

Kurz hinter Mühlheim begegnete ich Martin. Sein Fahrrad stand Kopf und er hatte einen alten ausgefranzten Fahrradschlauch in der Hand. Seine vielen Reisetaschen lagen im Gebüsch. Ich fragte, ob er Hilfe bräuchte und er sagte “it’s just a flat”. Ich hielt trotzdem an und wir unterhielten uns kurz. Er habe einmal täglich einen Platten, weil er einen billigen Schlauch aus China habe. Er wolle ihn trotzdem flicken und sich bei Gelegenheit mal einen neuen von besserer Qualität kaufen. Das Flicken, so Martin, störe ihn nicht, denn er habe viel Zeit und will langsam reisen. Sein Ziel sei die Türkei. Dass er Marin hieß und dass er tatsächlich täglich einen Platten hatte, erfuhr und erlebte ich erst am nächsten Tag. Für jetzt verabschiedete ich mich von ihm und wünschte ihm viel Glück.

Kaum ließ ich Martin hinter mir, fand ich mich in einer fast unwirklichen Gegen in einem Tal zwischen den Bergen wieder. Außer mir, der Donau und den Bahngleisen war dort nichts. Keine lärmendenden Verkehrsgeräusche, keine Häuser, keine anderen Menschen. Ich hielt an. Es gab keinen Schatten, aber himmlische Ruhe. Der Ort kam mir fast falsch vor. Ich war allein, obwohl auf der Karte Straßen und Siedlungen zu sehen waren. Aber eben hinter den Bergen – auf der anderen Seite.

Nur schwer trennte ich mich von diesem Ort und fand auf meinem Weg immer wieder solche menschenleeren und vor allem autoleeren Abschnitte. Die Donau, die wieder Wasser mit sich führte, schlängelte sich durch die Felsen und ich kleines Nordlicht hatte ja keine Ahnung von der Schönheit dieser Gegend. Der Weg folgte den Steigungen neben der Donau auf und ab und ich kühlte mich mit einer mit Wasser befüllten Sprühflasche ab. Das war der beste Reisetipp bei dieser Hitze. Es half auch, kurz stehen zu bleiben und zu warten bis der Körper begann zu schwitzen. Danach kühlte der Fahrtwind die nasse Haut ab. Doch die Sprühflasche war einfacher, weil ich nicht stehen bleiben musste.

Zur Abkühlung setzte ich mich auch in die Donau. Wäre ja auch zu blöd bei der Affenhitze die ganze Zeit neben dem Wasser zu fahren, die Erfrischung aber nicht zu nutzen.

Nach siebzig Kilometer kam ich in Hausen im Tal an. Wie immer die gleiche Routine: Zelt aufbauen, Duschen gehen, Ess… Moment. Ich verzichtete auf die Duschmarke (wie bereits am Tag zuvor in Phoren), weil ich glaubte, bei der Hitze nicht warm duschen zu müssen. Zunächst kühlte ich mich in der Donau ab, dann sprang ich unter die eiskalte Dusche. Es tat nicht wirklich gut, vor allem das Haarewaschen war anstrengend. Das Wasser war viel kälter als das in der Donau. Nach dem Duschen war mir kalt und ich aß die Zuckermelone. Den schlechten Geschmack im Mund, den ich seit dem Morgen mit mir herumschleppte, wurde ich auch mit der Melone nicht los. Mir wurde übel und mein Magen krampfte. Ich ging früh ins Bett, schlief schlecht und wachte sehr früh auf.

Das frühe Erwachen nutze ich für eine ungestörte, aber unschöne Zeit auf der Toilette, dann wieder das Zelt zusammenbauen. Ich wollte die kühlen Morgenstunden nutzen, um der Hitze zu entkommen. Leider wollte mein Körper nicht. Ich war schwach, setzte mich immer wieder und kämpfte mit Schwindel. Zudem krampfte mein Magen. Ich verschenkte die zweite Hälfte meiner Zuckermelone an Erwachsene (sollte die nicht mehr ok gewesen sein und ich eine Lebensmittelvergiftung haben – wovon ich stark ausging – dann wollte ich keine Kinder, von denen es reichlich auf den Zeltplätzen gab, in Mitleidenschaft ziehen) und packte mit letzter Kraft meine Taschen. Ich sagte mir immer wieder, dass ich nur zwanzig Kilometer bis nach Sigmaringen kommen müsste. Mehr nicht. Dort würde ich vernünftig frühstücken und dann weitersehen.

Kaum saß ich auf dem Rad, ging es mir bestens. Ich fuhr ein paar Kilometer und traf Martin wieder. Weider stand sein Rad kopf, wieder flickte er den Schlauch seines hinteren Reifens. Dabei ging er äußerst umständlich vor. Er montierte das komplette Rad ab. Mit samt der Gangschaltung. Ich nehme immer nur den Schlauch aus dem Mantel. Reicht ja auch, so lange er nicht komplett ausgetauscht werden muss.

Ich hatte keine Eile und so leistete ich Martin kurz Gesellschaft. Während ich so neben ihm stand, wurde mir zunehmend schlechter. Wieder hatte ich keine Kraft, um stehen zu bleiben. Zum Glück stand direkt neben uns ein Picknicktisch mit Bänken und einem Dach. Ich legte ich mich auf eine der beiden Bänke. Martin lachte, ich litt. Wir sprachen über das Reisen, vor allem über das langsam Reisen und es dauerte nicht lang, da stellten wir fest, dass der Kapitalismus an allem Schuld war. Martin drückte den letzten Kleber aus der Tube auf den billigen China-Schlauch und befestigte sofort den Flicken darauf. Ich erinnere mich noch, dass ich rief, dass er fünf Minuten warten soll und den Flicken erst dann auf der Klebefläche befestigen solle. Er lachte und sagte, sowas wie jaja, ich lege es jetzt zusammen in die Sonne und warte dann. Während wir mit dem Flicken zusammen warteten, erzählte ich ihm von meinen Beschwerden und dass ich langsam nicht mehr an eine Lebensmittelvergiftung, sondern an einen “heat collapse” glaubte. Ich fragte, ob er mich bis nach Sigmaringen begleiten würde und die Aussicht darauf, langsam in den nächsten Ort zu fahren, schien ihn zu erfreuen.

Martin hatte eine tolle offene Art, die nicht aufdringlich war. Sein Rad hatte viele kleine selbstgebaute Gimmigs und seine Fahrradtaschen waren zusammengewürfelt und aus altem Leder.

Endlich ging es weiter und es gesellte sich noch ein anderer Fahrer zu uns. Die beiden hatten sich am Tag zuvor auf der Fahrt kennengelernt. So machte sich unser Dreiergespann Richtung Sigmaringen auf den Weg. Der andere und ich fuhren voraus, dann rief es hinter uns “Catreen, I got a flat again”. Wir waren keine einhundert Meter unterwegs. Ich sagte ihm, dass ich nicht mehr warten könne. Wir verabschiedeten uns locker. Sicher würden wir uns auf dem Weg noch mal begegnen.

Nun begleitete mich der andere bis nach Sigmaringen. Obwohl, kurz vor der Stadt kamen wir an einem Kloster vorbei, das er sich ansehen wollte. Die letzten Meter fuhr ich allein. In Sigmaringen ging ich ein Café und frühstückte. Kamillentee, Birchermüsli (mit Sahne, wer macht denn sowas, naja) und O-Saft. Nebenbei rief ich die Hotels aus dem Fahrradreisebuch an. Ich konnte unmöglich weiter fahren. Ich fand ein Hotel, musste aber noch zwei Stunden bis zum Einchecken totschlagen. Ich sah die zwei wieder, denen ich die Melone schenkte. Sie sahen bestens aus. Puh, Glück gehabt. Ich traf auch den anderen wieder, der mich bis kurz vor Sigmaringen begleitete. Wir bedankten uns gegenseitig für die gemeinsame Fahrt und die schönen Gespräche und zu guter letzt traf ich auch Martin wieder. Er war auf der Suche nach einem Fahrradladen. Helfen konnte ich ihm nicht mehr. Ich kroch fast nur noch.

Ich kam zu früh am Hotel an ud durfte schon früher mein Zimmer beziehen. Zig Taschen vom Fahrradschuppen in die erste Etage schleppen, dann endlich ausziehen, lauwarm duschen und ins Bett hauen. Googeln: “Symptome Sonnenstich”. Ich vergaß mal kurz, dass ich Wissenschaftlerin bin und vertraute auf NetDoktor, Apothekenrundschau, Wikipedia und Pharmawiki. Ich hatte keinen Sonnenstich, sondern die nächst höhere Stufe: eine Hitzeerschöpfung. Fieber? Konnte ich nicht messen, aber Schüttelfrost? Ja. Übelkeit und Erbrechen? Ja und nein. Kopfschmerzen? Ja. Appetitlosigkeit? Ach DAS war der schlechte Geschmack seit über vierundzwanzig Stunden. Muskelschwäche und allgemeine Schwäche? Verdammt ja. Erhöhter Puls? Bestimmt nicht. Ich setzte die Finger ans Handgelenk und erschrak. Sch***e. Handy raus, Timer an, messen. Ich hatte einen Puls von 93/min (und ich lag zu dem Zeitpunkt bestimmt schon über dreißig Minuten im Bett). Niedriger Blutdruck? Oh ja. Als ich mich ins Bett legte, musste ich noch vier oder fünf mal aufstehen, weil ich immer etwas vergessen hatte (Wasserflasche ans Bett stellen, Waschlappen zum Herunterkühlen holen, Handy ans Bett legen, Laptop holen, …) Jedes Mal versackte das ganze Blut in den Beinen und mein Kopf blieb leer. Mir wurde schwarz vor Augen und ich ging gebückt durchs Hotelzimmer, wobei ich mich überall festhielt. Also ein klares Ja. Was fehlt noch? Sehstörungen? Oh, stimmt. Das wäre mir nicht aufgefallen, aber schon das Lesen der Karte im Café bereitete mir Probleme.

Ich las weiter und kam zum Hitzekollaps oder zum Hitzeschlag. Bei einem Hitzeschlag, so die einschlägige oben genannte Wissenschaftsliteratur, kämen zentralnervöse Störungen hinzu. Dillirium? Nein. Halluzinationen? Nein. Da stimmt mir auch der Zwerg neben meinem Bett zu. Atembeschwerden? Nein. Muskelkrämpfe? Nein.

Ok, ich hatte also eine Hitzeerschöpfung, blieb den ganzen Tag im Bett und schaute fern. Der nächste Tag versprach neue Temperaturrekorde, ich rief in der Rezeption an, ob ich noch eine Nacht bleiben könnte. Sie waren leider ausgebucht und so suchte und buchte ich ein anderes Hotel. Auch den folgenden Tag verbrachte ich im Hotelzimmer und verließ es erst nach neunzehn Uhr. Ich schlenderte wieder gestärkt durch Sigmaringen und stellte fest, dass ich die ein oder andere Ecke bereits kannte. Meine Erinnerungen waren verschleiert und zig Jahre weit weg. Vielleicht doch näher am Dilirium vorbeigerauscht, als gedacht?

Meine Lehren? Viel trinken allein reicht nicht. Mein Körper zeigte mir sehr früh Warnsignale, die ich alle nicht deuten konnte (schlechter Geschmack im Mund, Kraftlosigkeit, Kofschmerzen, Sehstörungen, Magenkrämpfe). Obwohl ich stets den Helm aufbehielt, mich mit frischem Wasser von außen abkühlte und sogar baden ging, waren die siebzig Kilometer bei neunundreißig Grad zu viel. Es ist sinnvoll den Wetterbericht zu kennen. Ich hatte davor lange keine Nachrichten gehört oder gelesen. Ich war die meiste Zeit offline unterwegs.

Meine eigentliche Erkenntnis ist die, dass ich während der Fahrt absolut nichts von meinen Symptomen gespürt habe. Immer erst, wenn ich vom Rad stieg. Das einzige durchgehende Symptom war die Geschmacklosigkeit – also nicht die von meinem Outfit, obwohl auch die zu wünschen übrig lies. Meine beste Freundin nannte es “selbstbewusst bunt”. Der fahle Geschmack war also das eine Zeichen, das ich hätte richtig deuten müssen. Aber ich schob es auf die Brause und die Pommes. Ist gar nicht so leicht, in sich hinein zu horchen und das, was man dann dort hört, richtig zu deuten. Vor allem, wenn der Kopf etwas anderes will. Nämlich Strecke machen.

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