Gemeindeschwester

Ich war in Stellung beim Bauern oben bei Wismar und meine Schwester Annemarie war in Mestlin im Landambulatorium als Hilfsschwester beschäftigt. Das war siebenundfünfzig. Durch sie bin ich ins Landambulatorium nach Mestlin gekommen und hab als Reinigungskraft angefangen. Heute würde man vielleicht Poliklinik sagen, obwohl es auch stationäre Einheiten gab und die Patienten für kleinere Eingriffe über Nacht da blieben. Es gab sechs oder sieben Krankenzimmer und wir hatten Dienste. Nachts war eine Schwester da und tagsüber waren wir immer zu zweit oder zu dritt.

Dort fanden die Sprechstunden statt und vor Ort wurde gekocht, es gab Massageräume und Wannenbäder. Und da habe ich mich für die medizinische Seite interessiert und habe einen Grundkurs machen konnte. Durch diesen Grundkurs bekam ich die Möglichkeit, ein Abendstudium als Hilfsschwester zu besuchen. Diese Ausbildung fand in Lübz statt, wo ich immer mit dem Motoroller hingefahren ist. Oh das war schön. Das hat mir gut gefallen und ich hab bald alles mitgeschrieben. Ich hab so viel geschrieben und konnte mir aber auch alles gut merken. Und so hab ich denn die Ausbildung als Hilfsschwester beendet. Denn habe ich noch ein Abendstudium angehängt und habe mein Staatsexamen als Schwester gemacht. Und das hab ich ja alles neben der Arbeit in Mestlin in der Ambulanz und den Kindern gemacht.

Ich hatte jede Woche einen Tag Unterricht und das eigentliche Lernen fand abends nach der Arbeit statt. Einen Teil der Bücher habe ich mir damals selbst gekauft und die hab ich noch.

Und die Tracht sieht so schön aus. Die Haube existiert heute noch. Und diese Schwesterntracht musste exakt sitzen, da hab ich ganz viel Wert drauf gelegt. Die Schleife musste exakt gebunden und die Haube exakt gefalten sein. ich fiel ja auch immer auf damit.

In meinem Sozialversicherungsbuch steht ganz genau drin, von wann bis wann ich wo war. Das wurde ein Mal im Jahr abgestempelt und das muss ich dir sagen, das war eine ganz feine Sache. Heute musst du allem hinterher laufen, aber diesen Ausweis hast du im Betrieb abgegeben und dann wurde alles wichtige eingetragen. Dort stehen auch meine eigenen Untersuchungen drin, genauso wie die Impfungen oder wenn ich Blut gespendet hab. Das war mir immer wichtig. Auch eine Mütterkarte ist mit drin, mit meinen Schwangerschaften und Geburten.

In unserem späteren Wohnzimmer war anfangs meine Schwesternstation und draußen im Flur saßen die Patienten. Jeden Tag war meine Station geöffnet und zwei Mal in der Woche kam die Ärztin und hat Sprechstunde gemacht. Es gab zwar Öffnungszeiten, aber die Patienten kamen auch, wenn wir gerade am Mittagstisch saßen. Und sie kamen mit allen möglichen Belangen, manche wollten nur mal einen Rat haben. Und ich wusste Bescheid. Sie sagten, ich hatte wirklich Ahnung und ich hab mich reingekniet und hatte auch Spaß daran. Zum Schluss war es schon so weit, wenn ich den Arzt brauchte, dann hatte ich oft eine Vermutung, was es sein könnte und denn hat der Arzt gesagt, dass ich richtig lag.

Ich hatte in meiner Schwesternstation einen Sterilisator. Der war ungefähr einen halben Meter lang und zwanzig oder dreißig Zentimeter hoch, wie eine Röhre mit einem Rost drin. Darin habe ich Spritzen, Kanülen und alles, was ich hier so hatte, sterilisiert. Die Spritzen waren aus Glas und die Nadeln aus Metall und ich hab sie auseinandergenommen, gereinigt und denn sterilisiert. Der lief ein Mal am Tag. Da war nix mit Einwegsachen, wie heute. Und das waren auch größere Nadeln. Sterilisiert wurde in Petrischalen und mittels Hitze, aber ich weiß nicht mehr wie viel Grad und wie lang es drin sein musste. Alles wurde in Petrischalen aufbewahrt bis es wieder gebraucht wurde.

Bestimmte Medikamente, also die, die nicht rezeptpflichtig waren, hatte ich vor Ort und konnte die auch ausgeben. Später durfte ich manche Medikamente auch in die Vene spritzen. Wenn Blut abgenommen werden musste, hat das die Ärztin mit ins Labor genommen oder es wurde mit einem Kurier weggeschickt.

Dadurch, dass ich Gemeindeschwester war, hatten wir ein Telefon, das einzige im Ort.

In einem Jahr, ich weiß nicht mehr, wann genau das war, aber da gab es unter den Kindern eine Läuseplage. Kinderkrippe, Kindergarten, alles dicht. Da hab ic die ganze Gegend und alle Apotheken abtelefoniert, um an ausreichend Läusemittel zu kommen. Dann ist mein Mann noch mit dem Betriebswagen losgefahren und hat die Apotheken in Bützow, Warin, Güstrow abgeklappert und hat das Zeug zusammengesammelt. „Was ist denn bei Euch los?“ haben sie gefragt. Dann gab es eine Großaktion hier im Dorf und wir haben den Kindern die Köpfe gewaschen. Das musste ungefähr alle zur gleichen Zeit ablaufen und wir haben es geschafft und sind die Läuse losgeworden.

Zweiundsiebzig ist die Schwesternstation nach nebenan in den Neubau gezogen. Dort war es insgesamt besser, weil es ein schönes großes Zimmer als Sprechzimmer gab und Küche und Flur wurden als Warteraum genutzt und es gab eine Toilette. Somit war es eine Verbesserung. Es gab auch noch ein kleines, halbes Zimmer, in dem ich eine Pritsche drin stehen hatte.

Ich hatte auch ein Moped, mit dem ich Hausbesuche bei Älteren oder Familien mit Kleinkindern gemacht oder Medikamente besorgt habe.

Hier im Dorf gab es ja auch eine Schule und ich hatte zu den Lehrern immer eine gute Verbindung. Wenn da mal was war, haben sie angerufen und ich bin dann rübergegangen und habe mich gekümmert.

Wir Gemeindeschwestern von Witzin, Borkow, Kobrow, Dabel und Sternberg haben sich jeden zweiten Mittwoch getroffen und uns ausgetauscht. Manchmal war auch die Doktorsche mit dabei. Ja, wir kamen miteinander aus, haben uns aber auch das gesagt, was wir uns sagen mussten. Da war ich nicht bange und die Ärztin, Fr. Dr. Buchholz konnte nicht alles machen, was sie wollte. Sie war zwanzig Jahre älter und hatte ein großes Wissen, war aber nicht gerade gefühlvoll. Sie hatte ihre eigentliche Station in Borkow im Neubau, machte aber auch Sprechstunden in den anderen Orten. Vor Ort gab es Schwesternstationen und die Ärztin ist dann für die Sprechstunden von Ort zu Ort gefahren.

Dann kam jede Woche auch der Zahnarzt und hin und wieder kamen auch Fachärzte und eben die Vertretung von Frau Dr. Buchholz und später der Herr Dr. Wiesner, ihr Nachfolger. Er war dann auch in meinm Alter und das passte prima zusammen. Wir waren auch per Du und alles.

Die Tätigkeit als Gemeindeschwester hat mich erfüllt, weil ich anderen helfen konnte und das ist das, was ich wollte. Und ich konnte gut schimpfen und manchmal musste ich das auch.

Ob es damals schon ambulante Pflegedienste gab, weiß ich gar nicht mehr, aber Pflegeheime gab es damals schon. Und das will ich dir sagen, als Gemeindeschwester bin ich dort auch hingefahren und habe dort einige notwendige Pflegemaßnahmen durchgeführt. Das gab es zu DDR-Zeiten auch, aber nicht in dem Ausmaß wie heute.

Gemeindeschwester war immer etwas anderes als Schwester in der Klinik. In der Klinik hast du ja noch immer jemanden hinter dir stehen. Du musst selbstständig Entscheidungen treffen, Wege suchen und Maßnahmen einleiten. In der Klinik hast du die Oberschwester und auch den Arzt. In eine größere Klinik wollte ich aber nicht. Meine selbstständige Arbeit hat mir sehr gefallen. Und nebenbei war ich gesellschaftlich sehr tätig und dann die vier Kinder, die in der Zeit zwischen sechs und zwölf Jahre alt waren.

Ich war fast zwanzig Jahre lang Gemeindeschwester, bis achtundsiebzig, dann bekam ich Rückenprobleme. Ich bin ja immer mit dem Moped gefahren – bei allem Wind und Wetter und den einen Morgen kam ich nicht mal aus dem Bett. Da kam der Dr. Wiesner und hat mich über die Bettkante wieder eingerenkt. Das ging dann aber alles nicht mehr und achtundsiebzig wurde ein Kreissekretär für die Volkssolidarität gesucht. Und das hab ich dann bis zur Rente gemacht. Für den gesamten Kreis Sternberg.

Nach der Wende gab es das Konzept der Gemeindeschwester gar nicht mehr und es wurde im Ort sehr vermisst. Jetzt haben sie sich dran gewöhnt und fahren eben nach Sternberg. Diese Gemeindeschwester war schon eine feine Einrichtung. Sie war das Bindeglied zwischen Arzt und Patient. Der Arzt rief an und fragte „wie siehst aus, muss ich heute noch mal raus?“ und ich wusste ganz genau „Doktor schauen Sie heute noch mal vorbei. So und so ist der Zustand.“

Wenn ich nichts mit der Bandscheibe gehabt hätte, ich weiß gar nicht, was ich denn nach der Wende gemacht hätte. Es war ja alles im Umbruch, es gab keine Schwesternstationen mehr. Ich weiß nicht, ob ich dann bei einem Arzt in der Praxis mit eingestiegen wäre. Ich wollte ja auch meine Freiheit nicht aufgeben. Ist schwer zu sagen.

Wir waren voll auf diese Zeit eingerichtet und für uns gab es nichts anderes. Die Wende, also dass mit einem Male alle weg und kaputt war, hat mich sehr mitgenommen. Und meinem Mann ging es ja genauso. Irgendwie musste aber wieder Geld reinkommen und ich brauchte wieder eine Selbstständigkeit. Da haben wir zuerst einen kleinen Laden hier im Haus aufgemacht und später ein Restaurant geführt. Und zu Beginn war ja auch noch Geld unter den Leuten, da war alles neu und sie haben viel gekauft, Billard gespielt und mit den Geldautomaten gespielt. Und von Monat zu Monat wurde auch das weniger. Wir hatten uns da mehr versprochen.

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