Teil 2: Vom Anästhesiepfleger zum Geschäftsführer

Nach der Ausbildung war ich der einzige, der keine Stelle bekam und ich musste zum Geschäftsführer des Hauses, der mir erklärte, dass das mit meiner Renitenz, also meinem konsequenten Agieren als Schulsprecher, nach drei Jahren Ausbildung endlich mal zu Ende gehen müsste, wenn ich Mitarbeiter des Hauses werden wollte. Die einzig freie Stelle, die es noch gab, war auf der Intensivstation. Ich war von der technischen Ausstattung sehr beeindruckt, die natürlich ganz anders aussah, als heute und ich hab gemerkt, dass die interprofessionelle Zusammenarbeit auf der Station eine ganz andere war. Strukturen und Prozesse wurden gemeinsam konzipiert und wir waren aufeinander angewiesen. Mir lag das Arbeiten mit den technischen Geräten in Kombination mit dem Arbeiten am Menschen. Und das fand ich sehr reizvoll. Nach einiger Zeit bin ich in den OP gegangen, weil ich dachte, dass mir das auch liegen könnte und auch hier war ich sehr beeindruckt. Diesmal von der Leistung, die die Pflegenden dort erbringen. Dieser Ausflug in den OP war aber nicht von Erfolg gekrönt, weil an mir sicherlich viele Menschen verzweifelt sind, vor allem, wenn es darum ging, steril am Tisch zu stehen und den Überblick über die Vielzahl an Instrumentarien zu behalten. Auch war ein perspektivischer Blick notwendig, um vorauszuahnen, was der Operateur oder die unterschiedlichen Operateure als nächstes brauchen. Und manchmal haben sie ihr eigenes Unvermögen an den Pflegenden ausgelassen, so dass ich diese Arbeit wieder beenden wollte. Also ich will das jetzt nicht darauf schieben, dass Ärzte mir das abgewöhnt haben, aber OP-Pflege lag mir einfach nicht. Es war auch mein eigenes Unvermögen, dass ich nicht immer alle Instrumente parat hatte.

Ich hab dann die Seite gewechselt und bin auf die andere Seite des Tuchs gegangen, nämlich in die Anästhesie. Die wurde damals auch von den Chirurgen geführt, denn eine Fachweiterbildung Anästhesie gab es damals in Deutschland nur vereinzelt. Und es ist eine andere Form von Patientenbezug, weil man sie ja schon auch mal wach erlebt. Die Vor- und Nachbereitung und die Tätigkeiten im Aufwachraum, die notfallmedizinische Versorgung im Schockraum, die hohen Anforderungen, flexibel zu sein und sofort alles abzurufen, haben mich sehr gereizt. Das war so mein Ding. Und trotzdem hab ich gemerkt, dass ich mit meinen drei Jahren Ausbildung und dem einen Jahr Berufserfahrung nicht vorbereitet bin dafür. Vor manchen Situationen hatte ich Respekt und auch Angst und meine Abteilungsleitung wollte nicht wahrhaben, dass ich noch nicht bereit war und meinte, das kommt mit der Zeit. Ich hab dann den Arbeitgeber gewechselt und bin an ein Universitätsklinikum gegangen und hab mich dort um eine Fachweiterbildung zum Anästhesie- und Intensivpfleger beworben, die damals gerade neu auf den Weg kam. Nach den zwei Jahren Fachweiterbildung kam wieder die Frage, wie es nun weitergeht, denn ich war mir nicht sicher, ob das Universitätsklinikum auf Dauer das Richtige für mich ist. Die hatten ausreichend qualifiziertes Personal, da krieg ich keine besondere Rolle.

Und so bin ich zurück an mein altes Haus gegangen, von dem ich gehört hatte, dass sie gerade eine neue Anästhesieabteilung aufbauten. Ich hab dann eine pflegerische Abteilung im Bereich der Anästhesie aufgebaut und mehrere Jahre lang geleitet. Die Zusammenarbeit mit den OP-Pflegekräften musste ganz neu organisiert werden. Das war auch nicht so ganz konfliktfrei. Zu Beginn hab ich Ablaufstrukturen für die Vorbereitung und Durchführung von Narkosen zusammen mit dem Chefarzt aufgebaut. Er selbst hatte auch nur wenige Assistenten. Wir waren also in den ersten Wochen ein ganz kleines Team und haben gemeinsam neue Methoden und Verfahren eingeführt, neue Ausstattung angeschafft und die Einleitungsräume neu ausgebaut. Die Prozesse zu optimieren und zu justieren, lief nebenbei, denn das Hauptgeschäft, die Ein- und Ausleitung von Narkosen und die Überwachung gingen ja noch weiter, jeden Tag. Auch die Eigenständigkeit der Anästhesieabteilung musste sich erst durchsetzen. Wir mussten uns von der Chirurgie abgrenzen und lernen, den Ton anzugeben, denn erst wenn wir mit der Einleitung fertig waren – und wir hatten einen hohen Anspruch an unsere Arbeit – wurde operiert. So lange mussten die Chirurgen warten. Das war für viele ungewohnt und da mussten wir uns mit Selbstbewusstsein und einer deutlichen Sprache durchsetzen, was mir dann auch manche Gegner, aber noch viel mehr Freunde eingebracht hatte.

Meine Erfahrungen aus dem großen Uniklinikum zur Organisation einer solchen Abteilung kamen mir zu Gute und die waren sehr hilfreich. Ich war einer der wenigen, die diese Fachweiterbildung hatten und dadurch hatte ich mir auch recht schnell Respekt verschafft. Meine Kompetenzen in dem Bereich konnten nicht wegdiskutiert werden, wenn gleich es auch damals schon Schwierigkeiten mit dem Rollenverständnis gab. Weniger in der Anästhesie selbst, als vielmehr in der Zusammenarbeit mit den Chirurgen, die das ja bis dahin alles allein gemacht hatten. Da wurde gleich der ganze Fachlehrgang Anästhesiepfleger in Frage gestellt, nach dem Motto: Wieso glauben sie mehr zu wissen als wir?

Das war eine herausfordernde und körperlich sehr zerrende Zeit, weil wir schon damals immer zu wenige waren und wir oft einspringen mussten und mit der Zeit verdichteten sich die Arbeitsprozesse und auch da hab ich mich dann gefragt, wie es langfristig weiter geht, denn ich konnte mir nicht vorstellen, diesen Beruf mit fünfzig oder sechzig noch zu machen. Zu der Zeit habe ich auch begonnen, an der Krankenpflegeschule im Bereich der Anästhesie- und OP-Pflege zu unterrichten. Ich gestehe, dass der Gedanke, als Lehrer um acht Uhr morgens anzufangen, recht reizvoll war. Ich hab dann eine Qualifizierungsmaßnahme in Süddeutschland absolviert und den Weg der pädagogischen Ausbildung zu gehen, eigentlich war es eine zweijährige Weiterbildung, denn Studienangebote gab es nicht. Es war eine sehr gute Qualifizierung, die wie ein Studium angelegt war und mit dem Abschluss als Lehrer für Pflegeberufe endete. Von nun an verdiente ich mir meine Sporen an der Krankenpflegeschule und da hatte ein De jávù, denn ich war wieder der einzige Mann, als Krankenpflegelehrer. Anders als in meiner eigenen Ausbildung, waren die Frauen sehr skeptisch mir gegenüber und wieder musste ich mir meine Position erkämpfen.

Ich wollte alle neuen Methoden erproben, wo Lehrer, die das schon lange machten, diesen neumodischen Kram für Quatsch hielten. Pädagogisch oder didaktisch habe ich bestimmt einiges verkehrt gemacht, aber meine Fachlichkeit, in die mir niemand reinreden konnte, hat mir sehr geholfen. Das stand unangefochten im Raum und inhaltlich konnte mir keiner was.

Ich habe der Geschäftsführung des Hauses vorgeschlagen, eine Fachweiterbildung für die Intensivpflege und Anästhesie zu gründen, weil die fehlte noch und so hab ich die dann komplett neu aufgebaut und weil es nicht so leicht war, Pädagogen zu finden, die im Bereich der Intensiv- oder Anästhesiepflege eine Weiterbildung hatten, griff ich auf berufserfahrene Pflegekräfte zurück.

Diese Fachweiterbildung lief gut, aber bei meiner Tätigkeiten in der Schule würde ich immer einer von vielen bleiben und das war nicht das, was ich wollte. Eines Tages hatte ich mich so sehr über eine Kollegin geärgert, dass ich mir den Stellenmarkt der Fachzeitschrift die Schwester/der Pflege nahm und nach neuen Stellen suchte. Da war eine Stelle für einen Schulleiter an einer psychiatrischen Pflegeschule in der Nähe meiner Heimatstadt ausgeschrieben. Ich musste das, was sich da in mir wegen der Auseinandersetzung mit der Kollegin etwas aufstaute, kanalisieren und so habe ich mich als Schulleiter in der Psychiatrie beworben. Es ging eigentlich nur darum etwas zu tun, denn ich war mir sicher, dass die mich sowieso nicht nehmen würden, weil ich aus der Somatik kam und Intensivfachpfleger war. Ich wurde dann aber tatsächlich zu einem Gespräch eingeladen und zwei Tage später wurde ich gefragt, ob ich die Stelle annehme, wodurch ich plötzlich mit einer Entscheidung konfrontiert war, mit der ich nicht gerechnet hatte. Aber ich dachte, du hast jetzt einmal ja gesagt, du kannst jetzt nicht nein sagen. Also habe ich das gemacht.

Ich hatte eine Schule übernommen, die ich vorher nicht gesehen hatte und ich war mehr als frustriert über die Strukturen, die sich mir darboten. Es gab da drei Lehrer für neunzig Schülerinnen und Schüler in miserabel ausgestatteten Räumen. Die Stellenanzeige sah viel besser aus und ich bin damit zum Geschäftsführer und habe gesagt, damit haben Sie mich geworben, aber das hier ist was ganz anderes. Ich habe mehr und besser ausgestattete Räumlichkeiten verlangt, die ich dann auch erhalten habe. Doch darüber hinaus hatte ich die Strukturen in der Pflegeausbildung in der Stadt als Ganzes vor Augen gehabt. Wir hatten drei Krankenpflegeschulen mit einem hohen Anteil an Praxiseinsätzen. Ich habe damals schon gedacht, dass man den Aufwand nicht mehr lange wirtschaftlich rechtfertigen können wird und habe versucht, mit den anderen Krankenpflegeschulen über Kooperationen zu reden. Das hat nicht geklappt, weil jede ihr eigenes Konzept verfolgte. Ich hatte die Vision einer großen Schule und einer großen Kooperation und habe das dann meiner Geschäftsführung, also unserem Träger, vorgestellt. Die allerdings hatte sich darunter nur den Austausch von Büchern vorgestellt, während ich etwas Eigenständiges wollte.

Das war ein bisschen revolutionär und so habe ich das mal zu Papier gebracht, um die Landesregierung davon zu überzeugen, dass man daraus auch eine eigenständige Schule machen kann. Das Land war damals begeistert, das zu machen und wir haben eine Hochglanzbroschüre aufgelegt und kaum war die fertig, sind die Partner, mit denen wir bereits in Kooperation gehen wollten, abgesprungen. Die Schule sollte unter eigener Trägerschaft laufen und ich muss sagen, ich wusste wie das in der Theorie ging, aber in der Praxis sind wir keinen Zentimeter weiter gekommen. Der Prozess der Zusammenführung hat sich über fünf Jahre hingezogen, wobei immer wieder andere Gründe genannt wurden, warum das nicht möglich sei. Als ich meine Kündigung vorbereitete und den Geschäftspartner mitteilte, dass ich aussteigen würde, wurde mir mitgeteilt, dass man nun bereit wäre eine eigenständige Schule zu gründen in der Rechtsform einer GmbH und ob ich ihnen noch zur Verfügung stände. Ich hab ja gesagt, weil das ja nach wie vor mein Wunsch war, habe aber auch Fracksausen bekommen, weil ich immer wusste, wenn die einen Geschäftsführer brauchten, reichten meine Qualifikationen nicht. Ich bereitete dort etwas vor, was mich am Ende überflüssig gemacht hätte. Ich hab dann berufsbegleitend Betriebswirtschaft studiert und das ging alles recht schnell.

Wir haben dann diese GmbH gegründet und zum Schluss hatten wir über 14000 Quadratmeter Seminarfläche und Büroräume mit mehreren Gebäuden in einem denkmalgeschützten Park mit über vierhundert angestellten Auszubildenden. Und mit knapp fünfundfünfzig hauptamtlichen Mitarbeitern und mit einem selbstverwalteten Jahresbudget von knapp zehn Millionen Euro. Die Auszubildenden waren direkt bei der Schule und nicht über die Krankenhäuser angestellt, was zum damaligen Zeitpunkt ein absolutes Novum war. Arbeitgeber und Ausbilder in einem zu sein, das war das Innovative daran. Und im Nachhinein war das genau die richtige Vorbereitung auf die nun kommende generalistische Pflegeausbildung.

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